Brisante Kostendiskussionen um innovative Therapien

6. November 2018 - 11:23

Innovative medikamentöse Therapien für immer kleinere Patientengruppen können pro Fall und Jahr Hunderttausende Euro kosten. Bei insgesamt weitestgehend stabilen Gesundheits- und Arzneimittelausgaben werden die Diskussionen darüber immer schärfer. Das komplexe Problem wurde am Beispiel der "Seltenen Erkrankungen" im Rahmen eines Pharmig Academy Dialogs in Wien diskutiert.

Innovative Therapien für kleine Patientengruppen sind sehr teuer
Innovative Therapien für kleine Patientengruppen sind sehr teuer

"Es gibt rund 7.000 Seltene Erkrankungen. 80 Prozent davon sind genetisch bedingt. 40 Prozent der Patienten erleben Fehldiagnosen. 50 Prozent der Erkrankungen treffen Kinder. Bei 95 Prozent gibt es keine spezifische Therapie", sagte Friedrich Scheiflinger, Leiter der Arzneimittelentwicklung von Shire Austria.

Die Aufwendungen für die Entwicklung von Arzneimitteln sind für große und kleine Patientengruppen hoch. Die Pharmaunternehmen schlagen sie auf den Preis um. Die modernen molekularmedizinischen Diagnosemethoden sind dabei, aus häufigen Krankheiten ein Sammelsurium an pathologisch klar unterscheidbaren, unterschiedlich zu therapierenden und vergleichsweise "seltenen" Erkrankungen zu machen. Gleichzeitig gibt es regelmäßig Hinweise darauf, dass Pharmakonzerne für innovative Produkte - bei rapiden Umsatzverlusten im Generikabereich - Maximalforderungen stellen. So sprach auch Scheiflinger von einer Balance: "Was kann's kosten? Was geht rein?"

Solidarität der Gesellschaft wird getestet

Es läuft sich auf einen immer schärfer werdenden Test der Solidarität der Gesellschaft hinaus - selbst in den reichsten Staaten wie Österreich. Dabei sind die Erfolge der Medizin unbestritten. "1970 überlebten 50 Prozent der Krebspatienten weniger als ein Jahr. 2010 überlebten 50 Prozent dieser Patienten länger als zehn Jahre. (...) 1994 machten die gesamten Ausgaben für Tumortherapien in Österreich sechs Prozent der Gesundheitskosten aus. 2010 waren es genauso sechs Prozent." 75 Prozent der Zugewinne an Lebenserwartung seien auf Medikamente gegen bösartige Erkrankungen zurückzuführen.

Bei den Seltenen Erkrankungen - mit insgesamt 400.000 Betroffenen in Österreich - und zunehmend auch bei den immer ausgefeilter diagnostizierbaren Krankheitsvarianten anderer Leiden werden die Kosten für innovative Therapien immer größer und können 300.000 Euro, sogar das Doppelte an Jahreskosten, betragen. Die Wiener Kinder-Onkologin Ruth Ladenstein (St. Anna Kinderkrebsforschung) hat es gemeinsam mit privaten Startkapitalgebern und dem Wiener Biotech-Unternehmen Apeiron geschafft, für Kinder mit Neuroblastom-Erkrankung mit dem monoklonalen Antikörper Dinutuxumab beta ein völlig neues Therapieprinzip bis zur absolvierten EU-Zulassung zu bringen. Jetzt kämpft man offenbar mit der Finanzierung dieses registrierten Medikaments. "Das bringt 15 Prozent mehr Überleben." Es sei unfassbar, dass nun "Verhandlungen darüber stattfinden, ob es das wert ist."

Juristischer Kampf um teure Therapien

Während im österreichischen ASVG sichergestellt ist, dass Patienten jene Therapien erhalten müssen, die "den höchsten Heilungserfolg erwarten lassen", versuchen offenbar Spitalserhalter über von ihnen etablierte "Innovationsboards" etc. Auswege vor durchaus hohen Einzelpreisen für Therapien zu suchen. Es hätte "kein Patient in einer Krankenanstalt ein individuell einklagbares Recht" auf "State of the Art-Therapien" innovativster Art, sagte der Jurist und Leiter des Zentraleinkaufs der steirischen Krankenhausgesellschaft KaGes, Edgar Starz. Man habe das auch aus einem Rechtsgutachten. Ein Rechtsgutachten bedeutet allerdings noch nicht die erfolgte Ausjudizierung einer juristischen Frage.

Die Diskussionen rund um die - derzeit - teuersten innovativen Therapien dürften in nächster Zukunft noch schärfer werden. Die gerade in Etablierung befindliche CAR-T-Zelltherapie bei Blutkrebs und Tumorerkrankungen kann 300.000 bis 400.000 Euro kosten. Selbst in den USA kommt es darüber zu Diskussionen in Fachliteratur und durch Patientengruppen. Laut Hintergrundinformationen gibt es in Österreich bereits eine Patientenwanderung von Bundesland zu Bundesland, wenn es um (extrem) teure Therapien geht. Gegenüber internationalen Pharmakonzernen ist die österreichische Marktmacht minimal. Wenn aber selbst die wohlhabendsten Staaten der EU mit ihren solidarischen Gesundheitssystemen die Rechnungen nicht mehr begleichen können oder wollen, könnten die Marktchancen für Innovationen drastisch zurückgehen - und sich so manche Milliarden-Kalkulation als falsch herausstellen.

(APA/red, Foto: APA/APA (Hochmuth))

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