1918/2018 - Älter als die Republik: Herta Turnowsky erinnert sich

26. März 2018 - 10:06

"Am 1. August werde ich 103. Wie man so alt wird, weiß ich selber nicht. Ich wollt das gar nicht", sagt Herta Turnowsky. Die zierliche Seniorin wurde 1915 in Innsbruck geboren und kam 1947 nach Linz - der Liebe wegen. "Linz hat mir am Anfang gar nicht gefallen, die Luft war so schlecht." Mittlerweile fühlt sie sich aber daheim und verfolgt die Entwicklung der Stadt nach wie vor mit Interesse.

Herta Turnowsky wird am 1. August 103
Herta Turnowsky wird am 1. August 103

Herta Turnowskys Vater starb, als sie zwei Jahre alt war. Er hatte sich im Ersten Weltkrieg am Isonzo ein so starkes Nierenleiden zugezogen, dass er ihm trotz Operation in Innsbruck erlag. "Knapp vor Weihnachten, am 5. Dezember 1917, noch bevor der Krieg aus war", erinnert sich die Tochter im APA-Gespräch. "Er war der k.u.k.-Kammerfotograf Julius Schär in der Maria-Theresien-Straße in Innsbruck", ist sie stolz und weist auf die Fotografien ihrer Eltern über ihrem Bett und ein Bild an der Wand, das die Maria-Theresien-Straße zeigt. Ihre Vorfahren kamen aus Südtirol. "Meine Mutter ist eine Boznerin und mein Vater Meraner", erklärt die immer noch agil wirkende Dame in ihrem gemütlichen Ohrensessel sitzend.

"Dann kam leider der Krieg"

Die Mutter, die sich um das Kaufmännische kümmerte, habe dann das Foto-Atelier mit einem Geschäftsführer übernommen. Turnowsky trat beruflich in die Fußstapfen der Mutter. "Gleich nach der Handelsschule bin ich in eine Versicherung gekommen und habe die Büroleitung für Rechnungswesen übernommen, dann kam leider der Krieg", berichtet sie. Innsbruck sei spät bombardiert worden, "im Dezember 1943 glaube ich, da ist viel zerstört worden". An einen Fliegeralarm, "das schlimmste Erlebnis", erinnert sie sich noch genau. "Wir haben die Flieger schon gesehen und sind über die Innbrücke zum Luftschutzkeller im Felsen der Nordkette gerannt. Dabei ist meine Mutter, sie war da etwa 60 Jahre alt, gestürzt und ich hatte Angst, dass sie zertreten wird. Im letzten Moment schafften wir es in den Keller, dann sind schon die Bomben gefallen."

Als der Krieg aus war, "ist uns ein Stein vom Herzen gefallen, wir haben es gar nicht fassen können". Es habe sich nicht so schnell viel geändert, "nur das Leben ist viel schöner geworden, obwohl es anstrengend war, wir mussten ja alles wieder aufbauen. Wir hatten nicht viel, aber wir waren vielleicht glücklicher als heute manche sind."

Aber auch an schöne Momente während des Krieges kann sich die gebürtige Tirolerin erinnern, Studentenbälle und Fünf-Uhr-Tees, naturgemäß mit wenigen Männern, denn die waren ja alle eingerückt - nur Herta Turnowskys späterer Mann Rudolf nicht. "Er hat von Geburt an keinen oder nur einen sehr verkrüppelten kleinen Finger gehabt, jetzt musste er nicht einrücken." Dafür kam der Wiener als Vertreter des Bürovorstehers in die Versicherung, in der sie tätig war. Als er 1947 die Filiale in Linz übernehmen sollte, ging sie mit ihm, und 1948 kam ihr Kind zur Welt. "Erst wollte mein Mann, dass ich wieder ins Büro komme, aber als unsere Tochter da war, meinte er, ich soll lieber bei ihr zu Hause bleiben."

Wie war das damals mit der Gleichberechtigung?

"In meiner Generation waren schon die Männer mehr oder weniger tonangebend. Das kommt aber auch darauf an, wie man sich das in der Familie einteilt. Ich hab' nicht gespürt, dass ich irgendwie unterlegen bin." Freilich seien die Frauen wenig berufstätig gewesen, wenn Kinder da waren. Das sei bei ihr nicht anders gewesen. Sie machte noch einmal zwei oder drei Jahre die Buchhaltung für eine Bäckerei, als ihre Tochter schon größer war, aber dann blieb sie daheim.

Das erste Mal gewählt habe sie noch in Innsbruck. "Ich bin bis zum Schluss noch wählen gegangen, da war ich 95 und im betreuten Wohnen, da war vis a vis das Wahllokal in der Berufsschule." In ihrem jetzigen Seniorenheim sei sie seit 16. Jänner 2017. "Ich war immer sehr selbstständig. Frühstück mache ich mir heute noch teilweise selber", erklärt sie, und eine Mikrowelle sowie eine Kaffeemaschine - "die brauchst du schon, wenn du deinen Kaffee möchtest, hat mein Schwiegersohn gemeint" - in ihrem Zimmer zeugen davon.

Krone, Schilling, Reichsmark,...

Sie habe immer in Urfahr, also am nördlichen Linzer Donauufer, gewohnt, am Anfang in Untermiete. Als die Russen, die Besatzungsmacht in Urfahr waren, 1955 abzogen, "waren wir sehr froh, weil wir mussten nach Linz über die Brücke und immer an der Kontrolle vorbei und den Ausweis zeigen". Es habe zwar nie einen Übergriff gegeben, trotzdem sei Erleichterung spürbar gewesen, als die Besatzung vorbei war.

Die vielen Währungswechsel, die sie in ihren 102 Jahren schon erlebt hat, bereiteten Herta Turnowsky nie ein Problem. "Bei der Krone, da war ich noch ein Baby, dann Schilling, Reichsmark, wieder Schilling und der Euro, da war ich ja noch in einem Alter, wo ich leicht mitgekommen bin (87 Jahre, Anm.). Ich bin immer für alle Neuigkeiten offen gewesen." Sie könnte heute noch umrechnen, "mit 14 multiplizieren oder dividieren". Durch ihren Beruf kann sie gut mit Zahlen umgehen, "ich hab Kassenbuch geführt, alles mit dem Kopf gerechnet".

In Linz habe es ihr am Anfang nicht gefallen, "da war so eine schlechte Luft, ich habe Heimweh gehabt nach Innsbruck", gibt sie zu. Als dann ihre Tochter da war und die Stadt nach dem Krieg immer schöner und besser wurde, "da hat es begonnen mir zu gefallen". Die Luft wurde besser und "jetzt bin ich schon Linzerin und es ist so eine aufstrebende Stadt, da verfolge ich alles, was ich noch kann".

Sensation Mondlandung

Die Mondlandung 1969 war "eine Sensation", sie habe immer viel ferngesehen. Ein Gerät habe ihre Familie spät bekommen, in den 1960ern. "Wir waren ja schon glücklich, wenn wir ein Grammophon hatten." Es gab keine Waschmaschine, keinen Kühlschrank, erst nach und nach kamen die Maschinen in den Haushalt. "Ich hab mich vorher nicht unglücklich gefühlt." "Das muss ich schon sagen, dass die Zeit so schnelllebig geworden ist und dass so viele Neuerungen kamen, das ist in meinen letzten Lebensjahren passiert. Seit ich 90 bin, hat sich so viel verändert, das ganze Internet und alles."

Früher sei sie gerne gereist, "zuerst mit meinem Gatten, wir haben ein kleines Auto gekriegt, einen Fiat 500, das war schon in den hohen 1950er-Jahren". Da ging es ins Salzkammergut, auch gerne nach Hinterstoder - "das hat mich an Tirol erinnert" - und später jedes Jahr nach Italien. Dann sei ihr Mann an Alzheimer erkrankt und sie habe ihn bis zu seinem Tod 1991 fünf Jahre daheim gepflegt, "da war ich schon über 70, aber noch gut beisammen. Einmal im Jahr konnte ich ihn drei Wochen ins Krankenhaus geben und mich erholen", erzählt sie. Viel Unterstützung habe sie nicht gehabt, "zwei Pflegerinnen, die sind zweimal in der Woche gekommen". "Er war wie ein kleines Kind, er hat mich nicht mehr gekannt, das war das Schlimmste", erinnert sich Turnowsky an "eine furchtbare Zeit".

Erster und letzter Flug

Danach sei sie das erste Mal geflogen "mit der Schwiegermutter meiner Tochter nach Mallorca. Das war sehr schön, obwohl ich immer gesagt habe, ich steig in kein Flugzeug ein". Mit über 80 war sie noch in Sizilien, das war ihr letzter Flug. Nun blickt sie nur mehr via TV ins Ausland. "Auf die Olympischen Spiele in Korea habe ich mich schon gefreut", sagt sie und ihre Augen leuchten. "Fußball schaue ich auch gern, wenn Bayern München mit David Alaba spielt oder unsere Nationalmannschaft, die war lange Zeit sehr gut mit dem Trainer Marcel Koller, aber sie wird jetzt auch wieder gut werden", kommt Sportbegeisterung durch. In jungen Jahren war Herta Turnowsky im Turnverein, gewann sogar Preise und fuhr gerne Ski - als gebürtige Tirolerin fast obligatorisch.

Tiroler Akzent hört man nur selten in den Worten der gepflegten Seniorin. "Aber meine Tochter war in den Schulferien oft bei meiner Mutter in Tirol, wenn sie danach etwa beim Arzt war, hat der gemeint 'Sie sind aber nicht von da'", schmunzelt sie. Bilder der Familie, zu der zwei Enkelkinder in Linz und Wien und ein 14-jähriger Urenkel gehören, schmücken die Wände im Zimmer. Auf dem Nachttisch liegen Zeitschriften, die Turnowsky gern liest, auch wenn eine Lupe zur Hilfe bereit liegt. Den ORF-Teletext bezeichnete die zierliche Frau als "meine Zeitung", da schaue sie ob es etwas Neues gebe - "aber es wird immer schlechter mit den Augen".

(Das Gespräch führte Ulrike Innthaler/APA)

(APA/red, Foto: APA/APA / FOTOKERSCHI.AT)

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