15.5.2024, 20:06 Uhr

Songs sind weltweit langsamer, höher und tonstabiler als Sprache

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Wer singt, tut das mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer höheren und stabileren Tonhöhe und in einem langsameren Tempo als sie oder er üblicherweise spricht. Das hat ein Forscherteam anhand von Musik- und Sprachaufzeichnungen aus der ganzen Welt gezeigt. Im Fachmagazin "Science Advances" berichten u.a. auch Wiener Experten unter persönlichem Einsatz, dass dieser Befund quasi überall gilt - es also gemeinsame grundlegende Unterschiede zwischen Musik und Sprache gibt.

Unter der Leitung von Yuto Ozaki von der Keio University (Japan) haben 75 Ko-Autoren aus der ganzen Welt höchstselbst insgesamt 300 Aufzeichnungen von traditionellen, gesungenen Liedern, den rezitierten Texten dieser Lieder sowie jeweils gesprochene Beschreibungen der Songs und Instrumentalversionen der Melodien aus verschiedensten Sprachgruppen und Kulturen aufgenommen, zusammengetragen und diese akribisch auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin analysiert. Dazu kamen Untersuchungen auf Basis von weiteren 418 an erwachsene Menschen gerichteten Liedaufnahmen aus verschiedensten Teilen der Welt und Audioaufzeichnungen von 209 Menschen, die in 16 Sprachen parlierten. Unter den beteiligten Wissenschafterinnen und Wissenschaftern waren auch Tecumseh Fitch und andere Vertreter des Departments für Kognitionsbiologie der Universität Wien oder Aleksandar Arabadjiev von der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw).

Beide "Modi" könnten evolutionäre Funktionen erfüllen

Sprache und Musik haben sich in allen Kulturkreisen der Welt etabliert - und das vermutlich schon vor sehr, sehr langer Zeit. Das lässt Forscher seit langem darüber spekulieren, dass sich beide vielleicht entwicklungsgeschichtlich nicht unabhängig voneinander entwickelt haben könnten und beide "Modi" zusammen auch evolutionäre Funktionen erfüllen. Zudem gibt es Spekulationen darüber, ob, warum und wann diese beiden Kommunikationsformen sich aus einem möglichen gemeinsamen Vorfahren heraus entwickelt haben könnten. Was jedenfalls fehle, ist eine wirklich stimmige Definition zum Unterschied zwischen gesprochener Sprache und einem "Song" sowie wissenschaftliche Analysen zu den grundlegenden akustischen Gemeinsamkeiten und Unterschieden über verschiedene Kulturen hinweg, schreiben die Forscher in ihrer Arbeit.

Bewertet hat das Forscherteam daher nun alle Audiodaten bezüglich der Tonhöhe, der zeitlichen Struktur von Pausen und Einsätzen - im Prinzip eine Art "Sprech- bzw. Sing-Rhythmus" -, der Stabilität in der Tonhöhe, der Klarheit des stimmlichen Ausdrucks, der Größe der verwendeten Tonintervalle und der Bindung zwischen Tönen. Dabei kam man zu dem Schluss, dass im weltweiten Durchschnitt Lieder höher tönen und langsamer sind als Sprache. Darüber hinaus könne man sagen, dass Lieder sich in stabilerer Tonhöhe präsentieren als gesprochene Sprache, die beiden Modi sich aber hinsichtlich der klanglichen Klarheit sowie bei den verwendeten Tonunterschieden (Intervallen) nicht unterscheiden, so die Wissenschafter, die ihre Ergebnisse auch mit Methoden des maschinellen Lernens einem Gegencheck unterzogen.

Hinweise auf "statistisch universelle" Gemeinsamkeiten

Die neuen Befunde gingen größtenteils konform mit Erkenntnissen aus ähnlichen Untersuchungen, die sich aber großteils nur mit dem Englischen oder anderen indoeuropäischen Sprachen beschäftigten, und den Vermutungen des Forschungsteams vor der Auswertung. Trotz vieler gefundener Ausnahmen liefere die neue Studie insgesamt deutliche Hinweise auf "statistisch universelle" Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Sprache und Gesang bzw. Musik im Allgemeinen über alle untersuchten Sprachgruppen hinweg.

Eine der Ausnahmen war übrigens die Version des Raps von Eminem im Song "Forgot About Dre" von Dr. Dre, die einer der Hauptautoren der Arbeit, Patrik Savage von der University of Auckland (Neuseeland), beigesteuert hat. Wenig überraschend überholte hier der deklamierte Song die übliche Sprachgeschwindigkeit. Das Team um Ozaki habe in jedem Fall sein Möglichstes getan, um im heutigen sprachlichen und musikalischen Ausdruck gewissermaßen nach "lebenden Fossilien" zu suchen, die Licht in die Beziehung zwischen den Modi bringen könnten, so Daniela Sammler vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main in einem Perspektivenartikel zu der Arbeit.

Service: https://dx.doi.org/10.1126/sciadv.adm9797; Video: https://www.youtube.com/watch?v=a4eNNrdcfDM

APA/red Foto: APA/Latyr Sy, Chiba, et al