Ob Klimawandel oder "Overtourism", die Touristikbranche sieht sich vor Herausforderungen gestellt, die nur mit nachhaltigen Ansätzen zu lösen sind. Stetig steigende Nächtigungszahlen und traditionelles Wachstumsdenken würden aber erst langsam zu einem Umdenken in der Branche führen, konstatierten Experten bei einer Diskussionsveranstaltung gestern, Montagabend, in Wien.
Die Ausgangsproblematik brachte Moderator Christoph Berndl, Chefredakteur von CRM Medientrend, mit einer Veranschaulichung des veränderten globalen Reiseverhaltens auf den Punkt: "Wir sind immer öfter und weiter, und dabei aber gleichzeitig immer kürzer unterwegs." Verbunden mit dem relativ jungen Phänomen des "Overtourism", wenn also Konflikte zwischen Einheimischen und Besuchern an touristischen Hotspots zum Vorschein kommen, richtete er die Frage "Wie viel Tourismus ist eigentlich zu viel Tourismus?" bei einem vom Wissenschaftsministerium (BMBWF) veranstalteten "Science Talk" an das Podium.
Nachhaltigkeit als "Beschwörungsformel"
Der Begriff Nachhaltigkeit könne schnell zum "Plastikbegriff" oder zur "Beschwörungsformel" werden, wenn man ihn allumfassend und gesamtgesellschaftlich betrachtet, ortete Harald Friedl vom Studiengang Gesundheits- und Tourismusmanagement der Fachhochschule (FH) Joanneum eine Unschärfe in der allgemeinen Diskussion. Die Kunst für den Einzelnen bestehe darin, so zu reisen, dass man wenig Schaden verursache, sondern sogar Nutzen schaffe - und dies im Sinne der Nachhaltigkeit auf das Kollektiv zu übertragen. "Nachhaltig reisen ist vordergründig anstrengend. Der Gewinn für sich selbst und die Gemeinschaft ist aber gigantisch", so Friedl.
Streng genommen könne Tourismus nie nachhaltig sein, warf Ulrike Pröbstl-Haider vom Institut für Landschaftsentwicklung, Erholungs- und Naturschutzplanung an der Universität für Bodenkultur (Boku) ein. Selbst wenn ein Hotelbetrieb auf umweltfreundliche und regionale Lösungen und Angebote setze, müsse der Gast immer noch anreisen und belaste damit die Umwelt. Ein Ausweg zum weltweiten Trend, immer öfter zu verreisen, aber auch immer weiter weg, könne es daher nur sein, eben nicht mehr in die Ferne zu schweifen, sondern der eigenen Region den Vorzug zu geben.
Gleichzeitig warnte Pröbstl-Haider davor, Massentourismus pauschal zu verdammen. Schließlich könnten auch Individualtouristen, etwa Skitourengeher, beträchtliche Schäden an der Umwelt anrichten. In der Pflicht, für einen nachhaltigeren Tourismus zu sorgen, stünden aber auch Medien sowie die Tourismuswerbung: "In Österreich müsste man die Rolle der Werbung stärker diskutieren", so die Expertin - man müsse sich im Klaren sein, wen man anlocken möchte, und ob das Reisende sind, die um den halben Erdball fliegen. Ein Teil des Problems sei darin zu sehen, so Friedl, dass Tourismusverantwortliche noch ein starkes Wachstumsdenken verinnerlicht hätten. Erst die junge Generation stelle dieses Paradigma infrage, und das sei gut so.
Die Grenzen des Erträglichen
Ein Zuviel des touristisch Guten könne auf dreierlei Art Probleme verursachen, erklärte Gerhard Blasche vom Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien. Wenn etwa tagtäglich Dutzende Busse vor dem Schloss Schönbrunn verkehren und haltmachen, sei das per se schon einmal ein negativer Umweltfaktor. Dazu würden die Anrainer durch zu viele Menschen und Fahrzeuge in ihren Lebensaktivitäten gestört werden. Auf der psychologischen Ebene wiederum könnten Touristenmassen, die täglich durch den Ort strömen - wie das etwa im Extremfall in Hallstatt geschieht - zu einer Entfremdung mit der eigenen Umgebung führen: "Ich erlebe mich dann nicht mehr dort zu Hause", so Blasche.
Urlaub zu machen habe eine nachweisliche Wirkung auf das Wohlbefinden, brachte Blasche entsprechende wissenschaftliche Studien ins Spiel. Diese hätten ergeben, dass Personen, die über Jahrzehnte nur relativ kurz Urlaub machen, gefährdet seien, früher zu sterben. Jeder müsse für sich selbst kritisch hinterfragen, was er oder sie von einem Urlaub wirklich wolle. Ist das eine Fernreise und ein "schnelles Abklappern von Städten" oder liegt das Gute doch viel näher?
Im Idealfall komme man von selbst zu einer Einstellungsänderung, zum eigenen Wohl und dem der Allgemeinheit: "Ich muss nicht wirklich nach Hawaii geflogen sein, um ein besseres Leben zu haben. Vielleicht reicht das Waldviertel, vielleicht sogar mit dem Fahrrad?" Leicht in das Leben integrierbare "Mikro-Abenteuer", wie einfach nur in den Wald zu gehen, könnten dann einen größeren Erlebniswert haben als die Reise zum Uluru-Felsen in Australien (früher als "Ayers Rock" bekannt) - der ohnehin erst kürzlich endgültig für Touristen gesperrt wurde.
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