In Österreich fällt die erste Bildungswegentscheidung vergleichsweise früh: Schon nach Ende der Volksschule mit zehn Jahren werden die Kinder auf Mittelschule bzw. AHS aufgeteilt. Damit trotzdem jeder eine Chance auf die Matura und ein Studium hat, ist auch nach der Mittelschule ein Wechsel in eine AHS oder eine Berufsbildende höhere Schule (BHS) möglich. Diese Durchlässigkeit des Systems hilft aber vor allem Akademikerkindern, zeigt eine Studie.
Jörg Flecker und Ona Valls Casas vom Soziologie-Institut der Universität Wien untersuchen in ihrem Forschungsprojekt "Wege in die Zukunft - Längsschnittstudie über die Vergesellschaftung junger Menschen in Wien" seit fünf Jahren durch Befragung einer gleichbleibenden Gruppe von Schülern, ob es dem österreichischen Bildungssystem gelingt, eine Benachteiligung nach sozialer Herkunft zu vermeiden. Ihre Antwort ist eindeutig: "Dies gelingt nicht."
Schon diverse Studien haben gezeigt, dass in Österreich nach der Volksschule vor allem Kinder von Eltern mit höherem Bildungsabschluss, ohne Migrationshintergrund sowie Mädchen ins Gymnasium übertreten. Doch auch bei der möglichen "Korrektur" des Bildungswegs nach der Mittelschule werden Kinder von Eltern mit Hochschulabschluss bevorzugt, betonte Flecker am Donnerstag bei einem Online-Pressegespräch. "Damit wird die 'Bildungsvererbung' also auch beim späteren Umstieg nach der Mittelschule fortgesetzt und somit verfestigt."
Kinder von Eltern mit Hochschulabschlüssen schaffen eher den Bildungsaufstieg
Zwar haben bei der jüngsten Befragungswelle 2021 drei Jahre nach dem Mittelschul-Abschluss 40 Prozent der Befragten eine maturaführende Schule besucht und damit einen Bildungsaufstieg geschafft (31 Prozent BHS, 11 Prozent AHS). Allerdings waren das vor allem Kinder von Eltern mit Hochschulabschlüssen, die nach der Volksschule nicht in einem Gymnasium aufgenommen wurden, sowie Mädchen. Kinder von Eltern mit niedrigeren Bildungsabschlüssen gehen indes öfter in eine Berufsbildende mittlere Schule (20 Prozent) oder machen eine Lehre (29 Prozent).
Noten spielen eine wichtige Rolle
Das Forscherteam hat sich auch angesehen, welche Rolle Noten beim Übergang spielen. Dabei zeigte sich, dass deren Einfluss - vor allem in Mathematik, Englisch und Deutsch - zwar grundsätzlich wichtiger ist als der Bildungshintergrund der Eltern. Vor allem beim Übertritt ins Gymnasium bleibt der Herkunftseffekt allerdings auch dann erhalten, wenn man die Noten berücksichtigt. Sprich: Bei gleichen Noten haben Akademikerkinder bessere Chancen auf den Übertritt in eine AHS als andere. Von jenen Schülerinnen und Schülern, die einen Einser in Mathematik hatten und deren Eltern eine Hochschule abgeschlossen haben, besuchten nach der Mittelschule 30 Prozent eine AHS. Hatten die Eltern einen niedrigeren Bildungsabschluss, war der Anteil nur etwas mehr als halb so groß.
Bei den BHS ist der Effekt des Elternhauses bei Berücksichtigung der Noten zwar nicht mehr statistisch signifikant und es ist dort laut Flecker leichter als bei den AHS, durch gute Noten den "unpassenden" Bildungshintergrund zu kompensieren. Allerdings seien die Noten selbst stark durch die Herkunft beeinflusst, weil Eltern mit höherem Bildungsabschluss auch mehr Möglichkeiten haben, ihren Kindern beim Lernen zu helfen, Nachhilfe zuzukaufen und den Kindern gute Lerninfrastruktur zu finanzieren.
Ob Mittelschul-Absolventen eine AHS oder BHS besuchen, hängt laut Studie außerdem auch damit zusammen, ob sie von ihren Lehrerinnen und Lehrern eine Empfehlung zum Besuch einer maturaführenden Schule bekommen haben. Vor allem Jugendliche, deren Familien wenig Geld haben, "können eine deutlich wahrgenommene Empfehlung der Lehrer_innen auf ihrem Bildungsweg zum Vorteil nutzen", so das Autorenteam.
Wiener Studie auf Österreich umlegbar
Für diese Studie wurden zwar nur Schülerinnen und Schüler aus Wien befragt. Laut Flecker kann man den Befund, dass auch beim Übergang nach der Mittelschule das Elternhaus den Bildungsweg stark beeinflusst, allerdings auf ganz Österreich umlegen. Für Wien hebt er ein positives Ergebnis hervor: Oft heiße es in Wien, dass die Mittelschulen "Restschulen" für jene Kinder seien, die es nicht ins Gymnasium schaffen. "Wir konnten zeigen, dass das mit der Restschule so nicht stimmt." Es gebe an diesen Schulen Schülerinnen und Schülern unterschiedlichster Herkunft, die Hälfte habe als Bildungsziel ein Studium und auch bei den Wegen nach der Mittelschule gebe es eine große Vielfalt.
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