Wenn ein innovatives Arzneimittel einen "Durchbruch" in der Therapie einer Krankheit darstellt, wird gerne die Geschichte von einer völlig rationalen Entwicklung der Wirksubstanz erzählt. Doch noch immer hängt das Schicksal neuer Medikamente - teilweise - auch von Zufällen ab, hieß es kürzlich bei einem Hintergrundgespräch des Pharmakonzerns Sanofi und des Wiener Biotech-Unternehmens Apeiron.
"Die Medikamentenentwicklung ist zunehmend rational geworden. Vielleicht auch nur pseudo-rational", sagte Hans Loibner, Geschäftsführer von Apeiron. Das Unternehmen, an dessen Gründung auch der Leiter des Instituts für molekulare Biotechnologie (IMBA/Wien), Josef Penninger, federführend beteiligt war, hat mit der EU-Zulassung des monoklonalen Antikörpers Dinutuximab zur Behandlung des Neuroblastoms bei Kindern einen für kleine Biotech-Unternehmen in Europa riesigen Erfolg erzielt.
Der Manager, der auf eine Jahrzehnte lange Erfahrung auf dem Gebiet der Biotechnologie zurück blicken kann, kennt aus eigener Erfahrung die meisten Fallstricke, die zu einem Misserfolg führen: "In Wirklichkeit verstehen wir viel weniger als wir meinen, dass wir verstehen, was die Arzneimittelentwicklung angeht. Noch immer machen der Zufall und der Spürsinn sehr viel aus - und das Ausnützen von Zufällen. (...) Ich glaube sogar sagen zu können, dass wir noch nicht einmal so wirklich verstehen, warum 'Aspirin' so tut, wie es tut." Ganz ähnlich sei das bei den modernen Krebs-Immuntherapien. "Die wirken bei 25 bis 30 Prozent der Patienten - und keiner weiß, warum."
Langwierige Entwicklung
Die Entwicklungskosten für ein neues Arzneimittel liegen bei bis zu 1,5 Milliarden Euro. An der Entwicklungszeit von zehn bis zwölf Jahren hat sich bis auf einige Ausnahmen in wenig geändert. Meist noch länger dauert es oft, bis die Zeit von einer in den Blickpunkt der Arzneimittelforschung kommenden Erkrankung über die Identifizierung eines möglichen Ziels für ein Medikament, der Suche nach potenziellen Wirkstoffen (Substanzscreening) und der Erfindung eines Wirkstoffkandidaten die langen Testreihen von Tiermodellen bis zur Wirksamkeitsprüfung (Phase-III) an Patienten absolviert ist.
Entscheidend sind immer die klinischen Studien an Probanden. Sie sind der Knackpunkt in jeder Arzneimittelentwicklung. Auf die Untersuchung eines potenzielle Medikamentes am Menschen sind die Forscher immer angewiesen: Weil es für die Krankheit kein gutes Tiermodell gibt (z.B. psychische Erkrankungen), weil die Abschätzung des Wirkungs-Nebenwirkungs-Spektrums auch Daten von Probanden verlangt, weil der wissenschaftliche Nachweis der Wirksamkeit und der Verträglichkeit die Voraussetzung für die Zulassung durch eine Arzneimittelbehörde und die Kostenerstattung durch das Gesundheitswesen entscheidend ist, wie Dieter Paar, medizinischer Direktor für den Bereich Diabetes und Herz-Kreislauf von Sanofi für Österreich, die Schweiz und Deutschland, feststellte.
Zusammenarbeit mit akademischer Forschung
In der Entwicklung eines neuen Medikaments können aber auch nicht-medizinische Fallstricke dessen "Karriere" beenden: zum Beispiel einfach eine Managemententscheidung. Der Wirkstoff Imatinib, der die Behandlung der chronisch myeloischen Leukämie revolutioniert hat, stand immer wieder vor dem "Abschuss". Unternehmen werden aufgekauft, ihre Projekte werden dann längst nicht immer weiterentwickelt.
"Man braucht auch viel Durchhaltevermögen", sagte Apeiron-Geschäftsführer Hans Loibner. Die Erfolgsgeschichte des Neuroblastom-Medikaments Dinutuximab durch Apeiron sei beispielsweise nur durch die enge und sechs Jahre lang dauernde Zusammenarbeit mit der akademischen Forschung - der St. Anna Kinderkrebsforschung in Wien und der europäischen Studiengruppe SIOPEN - zurückzuführen. "Die Zulassung gelang durch gemeinsame Anstrengung der Partner und Berater trotz dafür sehr beschränkter finanzieller Mittel, auf innovativen Wegen und gegen eine scheinbar übermächtige US-Konkurrenz", erzählte der Manager.
Apeiron hat mit der potenziellen Wirksubstanz APN411 eine möglicherweise zukunftsweisende Therapieform bei Krebs in Entwicklung - derzeit noch im Tierversuch. Sie basiert auf Forschungen von Josef Penninger zu dem "Immunschalter" cbl-b. Es aktiviert in Natural Killer Cells, also in Immunzellen, deren Aggressivität oder schaltet deren Funktion ab. Hemmt man cbl-b werden die Immunzellen scharf gemacht.
"Die immunologische Checkpoint-Blockade wird derzeit klinisch mit neuen monoklonalen Antikörpern gegen dafür gefundene Oberflächen-Antigene auf Immunzellen durchgeführt", sagte Loibner. Das sind die CTLA-4- oder PD1/PD-L1-Blocker, die als monoklonale Antikörper auf dem Markt oder in Entwicklung sind. Das Problem liegt darin, dass diese Biotech-Medikamente sehr kompliziert in der Herstellung und damit auch hochpreisig sind. cbl-b hingegen wird von Apeiron in Zusammenarbeit mit Evotec und der Wirkstoffbibliothek dieses deutschen Unternehmens über ein kleines Molekül, das in den Zellen wirkt, anvisiert. Synthetisch herstellbare Wirkstoffe sind einfacher zu produzieren. Als Kooperationspartner für die Entwicklung von APN411 kam für Apeiron im Juli 2015 Sanofi hinzu. Ende dieses Jahres wird der Konzern über die komplette Übernahme des Projektes zur weiteren Entwicklung bis zur Zulassung entscheiden.
APN411 blockiert cbl-b, fördert damit die Aggressivität von Immunzellen und könnte laut Loibners Vision zu einer "Pille am Nachtkastl" zur gezielten Stärkung des Immunsystems zum Kampf gegen Krebs werden. Mit dem Prinzip der Immuntherapie bei Krebs arbeite man nicht gegen den Krebs, sondern fördere die Abwehrkräfte - was ein ganz anderer Denkansatz sei, meinte der Experte. Und wenn alle Arbeiten dazu so logisch ablaufen wie sie rational geplant worden sind, könnte das Erfolg bedeuten. Aber das heißt noch lange nicht, dass das so sein muss.
APA/red Foto: APA/APA (dpa)