Um antibakteriell wirkende Beschichtungen zu entwickeln, lassen sich Forschende bei Joanneum Research von der Natur anregen: Vorbild ist die Oberfläche von Zikadenflügeln. Sie hat aufgrund ihrer besonderen Struktur die Fähigkeit, Mikroorganismen abzutöten. Nun ist es gelungen, die besondere Nanostruktur auf eine Folie zu übertragen. Damit könnten Objekte des täglichen Gebrauchs beispielsweise in Spitälern überzogen werden, sagte Barbara Stadlober gegenüber der APA.
Zikaden sind im Sommer unüberhörbar, wenn sie paarungsbereite Weibchen anlocken. Doch die Natur hat diesen Insekten noch eine weitere interessante Fähigkeit geschenkt: Ihre Flügel bleiben von Natur aus keimfrei. Ein ganzer Wald an klitzekleinen Säulchen auf ihrer Oberfläche verhindert, dass sich an ihnen Bakterien festsetzen können. Australische Forscher haben herausgefunden, was für ein guter Designer die Natur ist, ein Team von Joanneum Research Materials im oststeirischen Weiz nimmt die Erkenntnis nun zum Ausgangspunkt, um eine Folie zu entwickeln, die nach diesem Prinzip im Gesundheitsbereich oder auch der Lebensmittelverpackung zum Einsatz kommen soll.
"Unsere Rolle-zu-Rolle-Anlage ermöglicht die kontinuierliche, großflächige und kostengünstige Herstellung winziger Mikro und Nano-Strukturen auf flexiblen Folien, die dann für verschiedene Zwecke genutzt werden können: Um den Strömungswiderstand von Objekten in der Luft oder im Wasser zu verringern, Wasser abperlen zu lassen, Schmutz abzuweisen oder um für Bakterien unattraktiv zu werden", erklärte Stadlober im Gespräch mit der APA. Sie leitet die Gruppe Hybridelektronik und Strukturierung am Joanneum Research Materials.
Ein bis ins kleinste Detail nachgeprägter Zikadenflügel als Meterware
Zuletzt hat ihr Team erprobt, inwieweit die Nanostruktur einer Zikadenflügeloberfläche auf Folie übertragbar ist und dort ihre antibakterielle Wirkung entfalten kann. Dafür haben die steirischen Experten die erst unter dem Rasterelektronenmikroskop sichtbare Nanostruktur des Flügels mittels Rolle-zu-Rolle-UV-Nanoprägens großflächig als Lack auf eine Folie übertragen. Dabei wird eine Trägerfolie von einer Rolle abgespult und durchläuft dann unterschiedliche Stationen, an denen die Schichten abgeschieden, aufgedruckt oder aufgesprüht werden. Am Ende des Prozesses wird die fertige Folie wieder aufgerollt - quasi ein bis ins kleinste Detail nachgeprägter Zikadenflügel als Meterware.
Die ersten Tests seien vielversprechend gewesen, so Stadlober. Es habe sich gezeigt, dass die von der Natur abgeschauten Nanostrukturen zu einem signifikanten Absterben von gram-negativen Bakterien, wie zum Beispiel E. coli, führen. Diese überdehnen ihre Zellmembran beim Versuch, sich an den flexiblen Nanokegeln festzuhalten, was schließlich zum Absterben führt. Außerdem stellte sich auch ein wasserabweisender Effekt ein und die Lichtreflexion der Folie wurde um ein bis zwei Prozent verringert.
Von der Medizintechnik bis hin zur Lebensmittelverpackung
Tina Spirk hat die nach natürlichem Vorbild künstlich nachgebildeten Strukturen getestet. Zuvor musste das Zusammenspiel aus Lack, Antihaft-Beschichtung und Aushärteparametern optimiert werden, um eine gute Abformungsqualität bei der Herstellung des finalen Prägestempels zu erreichen. Sie sieht vielfältige Anwendungsmöglichkeiten der funktionalisierten Oberflächen: "Von der Medizintechnik bis hin zur Lebensmittelverpackung. Ziel ist es, die Technologie zur Marktreife zu bringen und damit die Hygiene- und Sicherheitsstandards erheblich zu verbessern", betonte Spirk.
Aktuell ist man allerdings in der Anwendung noch limitiert: "Die Folie ist nicht dehnbar, daher wäre sie vorerst nur als Überzug für flache Oberflächen wie Möbel, Türen, Tabletts geeignet". Auch will man in puncto Nachhaltigkeit bei den verwendeten Materialien bei Lack und Foliensubstrat noch optimieren.
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