Zensur an Unis: "Die schützenswerte Rede ist die unpopuläre Rede"

14. September 2021 - 10:23

"Ich hasse, was du sagst, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass du es sagen darfst", jenes Zitat, das einst irrtümlich Voltaire zugeschrieben wurde, ist für Reinhard Heinisch vom Institut für Politikwissenschaft und Soziologie der Universität Salzburg die Richtlinie, wenn es um Zensur und Tabus an den Hochschulen geht. "Die schützenswerte Rede ist die unpopuläre Rede", erklärte er im Rahmen einer Podiumsdiskussion in Wien.

Gefährdet "Cancel Culture" die Wissenschaftsfreiheit?
Gefährdet "Cancel Culture" die Wissenschaftsfreiheit?

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Neu: Klarstellung im sechsten Absatz, dass Auftritt von Alice Schwarzer stattgefunden hat.

Im Zentrum stand die Frage, ob die "Cancel Culture" (also eine Kultur der Zensur, wo unpopuläre Meinungen unterdrückt werden) die Wissenschaftsfreiheit gefährde. In einem Punkt zumindest waren sich die Podiumsteilnehmer einig: "Die Grenzen", so Heinisch, "sind dort, wo Gewalt, Unterdrückung und Antidemokratisches gefordert wird, über alles andere muss man diskutieren können."

"Cancel Culture ist ein Begriff, mit dem sehr schnell hantiert wird, wenn man sich selbst in seiner Haltung nicht mehr ernst genommen fühlt", betonte Keya Baier, stellvertretende Vorsitzende der Österreichischen Hochschüler_innenschaft (ÖH). Dass eine zugeschaltete Studentin sich sprachlich eingeschränkt fühle, weil an ihrem Institut "Genderzwang" herrsche, könne sie nur bedingt nachvollziehen.

"Cancel Culture" als zweischneidiges Schwert

Der Begriff der Cancel Culture ist auch für Oliver Vitouch, Rektor der Universität Klagenfurt, ein "zweischneidiges Schwert". Wo es Cancel Culture tatsächlich gebe, halte er sie für problematisch, der Begriff werde aber auch verwendet, um aus politisch rechten Bewegungen heraus "politisch Linken den Vorwurf zu machen, sie würden Redefreiheit untergraben und neue Arten von Zensur etablieren, so dass Personen mit rechtskonservativen Positionen an Universitäten nicht mehr gehört werden."

Obwohl Vitouch das Grundproblem nachvollziehen könne und auch in den USA für weiter verbreitet hält, bereiten ihm aus österreichischer Perspektive "Phänomene wie das Kassieren ungarischer Universitäten, die regimetreu auf Linie gebracht werden", mehr Sorgen. Er ortete "besorgniserregende Umbrüche" nicht nur in Ländern wie der Türkei und Weißrussland, sondern auch innerhalb der Grenzen der EU, wo rechtspopulistische Regierungen nach den Medien und der Justiz auch versuchen, die Hochschulen unter ihre Kontrolle zu bekommen. Das halte er gegenwärtig für die größte Gefahr in der Europäischen Union - Streitpunkte "wie das Binnen-I" machen ihm "verhältnismäßig wenig Sorgen."

Zu verstehen, warum es beispielsweise Forderungen gab, den Auftritt der deutschen Feministin Alice Schwarzer zum Thema Feminismus an der Universität für angewandte Kunst 2019 wegen "antimuslimischem Rassismus" abzusagen, falle ihm dennoch schwer. Wenn der Austausch nicht mit Gegenargumenten, sondern mit subjektiver Betroffenheit ("Diese Idee verletzt mich") behindert wird, dann "ist das problematisch, weil sich damit jeder Diskurs aufhört." Das Problem sei die Subjektivität, die dem Thema der Diskriminierung innewohne - jeder und jede könne sich subjektiv betrachtet in irgendeiner Art und Weise diskriminiert fühlen, "und der Versuch, das gänzlich auszuschalten, führt letztendlich zu Stummheit."

ÖH sieht Hochschule als Ort des freien Austausches

Deshalb sei auch der Wunsch nach einer diskriminierungsfreien Gesellschaft für ihn ein unerreichbares Ziel - ganz im Gegensatz zu Baier: "Die Hochschule soll ein Ort des freien Austausches sein, des Wissens, des kritischen Denkens, wo sich alle Beteiligten wohlfühlen und frei lernen und lehren können. Derweil ist das nicht so", bedauert sie, die Kultur des Miteinander-Redens könne man aber sehr wohl verbessern. Dazu sei es notwendig, unabhängige Stellen gegen Diskriminierung an den Hochschulen einzuführen. "Die Einrichtung dieser Art von Stellen ist ein großes Projekt, das wir an der ÖH angehen wollen", freut sie sich darauf, mit den Hochschulen dazu in Diskurs zu treten.

Für Lamiss Khakzadeh vom Institut für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre der Universität Innsbruck muss die Hochschule vor allen Dingen ein Ort sein, an dem man lerne, einen universitären Diskurs nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu führen, mit belegbaren Aussagen und nachvollziehbaren Quellen. Aussagen wie die von Oberösterreichs FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner, dass die Impfung "sicherlich nicht der Gamechanger" sei, seien leicht zu widerlegen. Die Schwierigkeit bestünde darin, Gruppen nicht als vulnerabel zu labeln und vor dem Diskurs zu schützen, sondern ihnen Instrumente in die Hand zu geben, um sich damit auseinandersetzen zu können. Das sei ein Akt der Selbstbefähigung, "was nicht heißt, dass man alles hinnehmen muss", betont sie. Das Debattieren sei in den letzten drei Semestern coronabedingt im virtuellen Raum zu kurz gekommen, so Khakzadeh, sie ist aber optimistisch, dass die Universitäten hier noch viel leisten werden.

(APA/red, Foto: APA/HANS KLAUS TECHT)

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