Zeitgeschichtetag: Verbale Gewalt ist erster Schritt zur Ausgrenzung

6. April 2018 - 11:21

"Sozialschmarotzer", "Arbeitsscheue" sind Begriffe, die während der NS-Zeit für Menschen verwendet wurden, die als "asozial" eingestuft und verfolgt waren. "Die Rhetorik erinnert mich sehr an den heutigen Diskurs", sagte die Sozialwissenschafterin Helga Amesberger. Am derzeit laufenden Zeitgeschichtetag in Wien referiert sie über den behördlichen Umgang mit als "asozial" Verfolgten nach 1945.

Behörden gingen mit als "asozial" Verfolgten nicht zimperlich um
Behörden gingen mit als "asozial" Verfolgten nicht zimperlich um

Wie bereits während des Nationalsozialismus würden auch heute bestimmte Bevölkerungsgruppen - nämlich Flüchtlinge, Migranten und Langzeitarbeitslose - herausgegriffen, präzisiert Amesberger im Gespräch mit der APA. Für den "Umgang" mit als "asozial" gebrandmarkten Menschen hatten die Nazis eigens Gesetze eingeführt. "In der Definition dieser Gruppe sehe ich durchaus Ähnlichkeiten mit der heutigen Zeit", so die Mitarbeiterin des Instituts für Konfliktforschung (IKF) in Wien.

Ausgrenzung und Diskriminierung erfolge schleichend. "Sie beginnt mit symbolischer Gewalt, damit wie man über diese Menschen redet, etwa mit Bezeichnungen wie Sozialschmarotzer", erklärt Amesberger. Erste Ansätze dafür erkennt sie zum Beispiel in der Debatte um die Mindestsicherung oder der Absicht der Bundesregierung, die Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder zu kürzen. "All das suggeriert, dass diese Menschen auf Kosten unseres Sozialstaates leben." Der NS-Begriff "Asoziale" sei zwar noch nicht gefallen, "ich warte aber nur noch darauf."

Gemeinsam mit den Sozialwissenschafterinnen Birgit Halbmayr und Elke Rajal hat Amesberger den behördlichen Umgang mit als "asozial" Verfolgten in Österreich nach dem Ende der NS-Herrschaft untersucht. Als "asozial" stigmatisierten die Nationalsozialisten all jene Menschen, die wegen "Arbeitsscheue" oder dem Bruch eines Arbeitsvertrages verurteilt sowie der Geheimprostitution oder des "liederlichen Lebenswandels" beschuldigt wurden.

Zu letzterer Gruppe zählten vor allem Frauen, "die den sexuellen Normen nicht entsprachen", weil sie zum Beispiel häufig ihre Partner wechselten, oder Frauen, die der sittlichen oder moralischen Verwahrlosung bezichtigt wurden. "Auffallend viele dieser Frauen stammten aus der unteren Einkommensschicht der Bevölkerung", berichtet Amesberger.

Viele Jahre nicht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt

Als "asozial" verfolgte Menschen fielen bis in das Jahr 2005 nicht unter das Opferfürsorgegesetz. Das bedeutet, sie wurden nicht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt und erhielten damit auch keine Haftentschädigung oder Opferrente, obwohl viele "vor allem Frauen" nach einer Gefängnisstrafe in das KZ Ravensbrück oder das Jugend-KZ Uckermark deportiert wurden.

Von den 25 von den Wissenschafterinnen näher untersuchten Frauen, die in den Opferfürsorgeakten als "asozial" geführt wurden, sei "nur ein knappes Viertel als Opfer anerkannt worden", so Amesberger. Die Gründe dafür seien vielfältig. Zum einen mussten die Antragstellerinnen einen weiteren Verfolgungsgrund - aus politischen oder Abstammungsgründen - nachweisen. Zum anderen mussten sie ihre Haftzeit mittels Entlassungsschein, Briefen aus dem KZ oder Meldezettel belegen. Beides sei nicht einfach gewesen und zuletzt "lag es auch im Ermessensspielraum des zuständigen Beamten", ob er jemanden als Opfer anerkannte oder nicht.

Behörden waren noch lange in der NS-Zeit verankert

Wie sehr die Behörden noch in der NS-Zeit verankert waren, belegt Amesberger anhand des Beispiels von Frau O., die nach mehreren Dienstverpflichtungen während des Krieges eine neue Stelle nicht antrat, dafür eine Gefängnisstrafe ausfasste und nach Absitzen derselben ins KZ Ravensbrück deportiert wurde. Als Opfer des Nationalsozialismus wurde Frau O. aber nie anerkannt. Das obwohl sie namhafte Zeuginnen, wie die österreichische Widerstandskämpferin und SPÖ-Politikerin Rosa Jochmann, brachte, die aussagten, dass sie im KZ Ravensbrück den roten Winkel der politischen Gefangenen getragen hatte. "Vielmehr folgte man einer Abschrift des Gauamtes, die besagte, dass eine NSDAP-Ortsgruppe nach Erhebungen keinerlei politische Aktivitäten von Frau O. feststellen hatte können", so die Sozialwissenschafterin.

Im Umgang mit den Opfern habe es nur eine sehr kurze Periode nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben, die von Wohlwollen seitens der Behörden geprägt war, so das Fazit Amesbergers aus ihrer Forschung. "Danach kam eine lange Phase, in der die Behörden äußerst restriktiv geurteilt haben." Auch in Gerichtsverfahren gegen Kriegsverbrecher - Amesberger nannte etwa die beiden Verfahren gegen den Leiter der Arbeitsanstalt am Steinhof und sechs Pfleger - sei man recht bald dazu übergegangen, die Schuld bei den Opfern zu lokalisieren und damit die Handlungen der Beschuldigten zu rechtfertigen.

Service: "Österreichischer Zeitgeschichtetag 2018 - Geschichte wird gemacht", 5. bis 7. April, Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien, http://zgt18.univie.ac.at/

(APA/red, Foto: APA/APA (dpa))

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