Zeitgeschichtetag: Junge Muslime sehen Juden wie Nicht-Muslime

5. April 2018 - 11:06

Muslimische Jugendliche in Österreich haben meistens ähnliche Assoziationen zu Juden wie Nicht-Muslime. Das zeigen erste Ergebnisse eines Forschungsprojekts der Historikerin Bernadette Edtmaier (Uni Salzburg), die kürzlich beim "Österreichischen Zeitgeschichtetag" in Wien präsentiert wurden. Vielfach ist das Wissen über den Holocaust gering - selbst unter Studienanfängern der Geschichte.

Jugendliche und Studienanfänger der Geschichte wurden befragt
Jugendliche und Studienanfänger der Geschichte wurden befragt

Für ihre Studie "Bilder zu Juden und Jüdinnen im 'globalisierten Klassenzimmer'" befragte Edtmaier unter der Leitung der Historikerin Helga Embacher 266 Jugendliche aus dem Raum Salzburg und Oberösterreich sowie 51 Studienanfänger der Geschichte an der Uni Salzburg schriftlich. Außerdem führte sie Interviews mit Vermittlern an KZ-Gedenkstätten sowie Lehrern.

Den Fragebogen habe man dabei bewusst offen konzipiert, um keine Antwortmöglichkeiten von vornherein auszuschließen, so Edtmaier zur APA. "Bei explorativen Studien zum Thema Antisemitismus hat man bisher selten ganz allgemeine Bilder über Juden abgefragt - also neben negativen auch positive oder neutrale." Für ihre - nicht repräsentative - Studie, die vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank gefördert wird, habe man daher mit vielen offenen Fragen gearbeitet, etwa "Was geht dir durch den Kopf, wenn du an Juden denkst?".

Assoziation mit Holocaust

Sowohl unter muslimischen als auch unter nicht-muslimischen Jugendlichen sei die Varianz an Assoziationen sehr groß gewesen - auch die beiden Gruppen an sich seien sehr heterogen. So gebe es nicht "die" Muslime, sondern eine ganze Bandbreite an Glaubensrichtungen und Herkunftsbezügen, betonte Edtmaier. Mit Abstand am häufigsten mit Juden assoziiert wurde der Holocaust - sowohl von Muslimen als auch Nicht-Muslimen. Einige äußerten hier auch ihre Gefühle, etwa wenn sie schrieben: "Ich bin traurig, dass Juden so etwas erleben mussten." Zahlreiche Jugendliche gehen davon aus, dass ausschließlich Juden NS-Opfer waren.

Der Wissenstand der befragten Jugendlichen über den Holocaust ist zum Teil sehr gering: So konnten etwa nur rund 15 Prozent die Frage nach der Zahl der ermordeten Juden in der NS-Zeit richtig beantworten. Selbst bei den Geschichte-Studienanfängern der Uni Salzburg kannten nur 20 Prozent die korrekte Antwort. Praktisch kein einziger der Jugendlichen wusste, wer Adolf Eichmann war - bei den Studienanfängern waren es immerhin knapp 25 Prozent.

Bei der Frage nach dem Interesse am Holocaust habe es wieder äußerst heterogene Antworten gegeben, so Edtmaier. Über alle Befragten gesehen hätten sich Muslime etwas seltener dafür interessiert - einige wiederum aber sehr stark. "Das geht teilweise über die eigene Einstellung zur Religion. Vereinzelt identifizieren sich Muslime stark mit den Juden nach dem Motto 'Früher waren die Juden die Opfer, jetzt sind wir es'. Die haben ein ganz starkes Interesse am Holocaust."

An Stereotypen äußerten muslimische wie nicht-muslimische Jugendliche nicht ausschließlich negative Eigenschaften. "Da kam etwa die Antwort 'Das sind Geschäftsmänner' oder 'Die sind reich' oder die Hakennase. Vielfach gab es aber auch positive Zuschreibungen wie 'Die sind hilfsbereit und nett, obwohl ihnen so viel passiert ist'."

Unterschiede in der Einstellung zu Israel-Palästina-Konflikt

Ganz deutliche Unterschiede zwischen muslimischen und nicht-muslimischen Befragten fanden sich nur bei der Einbeziehung des Israel-Palästina-Konflikts. Dieser werde immer wieder als Konflikt zwischen Juden und Muslimen wahrgenommen. "Muslime gaben häufiger als Nicht-Muslime an, sich für den Nahostkonflikt zu interessieren und solidarisieren sich oft auch klar mit den Palästinensern als Opfer", so Edtmaier.

Schwer zu beantworten sei die Frage nach Antisemitismus. "Es gibt hier ein ganzes Spektrum an Antworten. Dieses reicht von offen antisemitischen Aussagen bis hin zu einer unsicheren Zustimmung zu einem Vorurteil. Da muss man differenzieren", meinte Edtmaier. Bei zehn bis 15 Prozent der Befragten seien Antworten innerhalb dieses Spektrums gekommen.

Offen antisemitische Aussagen wie "Ich hasse Juden, sie hätten es verdient, noch mehr zu leiden" seien nur in fünf der 266 Fälle gefallen. Diese stünden in Bezug zum Israel-Palästina-Konflikt und wurden in vier der fünf Fälle von Muslimen geäußert. Fünf weitere Jugendliche - alle Nicht-Muslime - fielen durch provozierende Aussagen wie "Juden einheizen, Lagerfeuer, schön warm" auf.

Auf Vorurteile wie "Juden sind reich und geldgierig" reagierten Jugendliche großteils ablehnend. "Nur vereinzelt gab es klare Zustimmungen, aber auch vorsichtige Formulierungen wie 'Das könnte vielleicht sein'", so Edtmaier. Manche der Befragten äußerten sich auch widersprüchlich, - sowohl positiv als auch negativ - über Juden. Insgesamt habe es eine enorme Heterogenität an Antworten gegeben. "Es ist nicht immer leicht, eine klare Grenze zu ziehen zwischen dem, was antisemitisch ist und was nicht. Und wer bestimmt, was antisemitisch ist?"

(APA/red, Foto: APA/APA (dpa))

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