Wissenschaftliche Integrität: Compliance und Entschleunigung nötig

9. September 2018 - 10:41

"Something ... is rotten in the state of Austria", prangerte 2008 das Fachblatt "Nature" den Umgang mit einer umstrittenen Studie der Medizin-Uni Innsbruck an. Nur Monate später wurde die Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) gegründet. Für Stephan Rixen, Chef der ÖAWI-Kommission, hat sich das Bewusstsein für das Thema verbessert, er fordert aber ein Compliance-System für Österreich.

Auch Zeitdruck führt zu Fehlverhalten
Auch Zeitdruck führt zu Fehlverhalten

Unter dem Eindruck von Plagiatsfällen und mehreren Verdachtsfällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens haben Universitäten und Forschungseinrichtungen 2008 die ÖAWI als Verein gegründet. Eine aus sieben ausländischen Experten zusammengesetzte Kommission untersucht unabhängig Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens in Österreich und bewertet diese.

Er habe den Eindruck, dass immer dort etwas geschehe, wo es eine Institution gibt, die sich des Problems wissenschaftliches Fehlverhalten annimmt. "Daher war es gut, dass sich auch in Österreich die Wissenschaft selbst organisiert und eine Einrichtung wie die ÖAWI geschaffen hat", sagte Rixen im Gespräch mit der APA. Wichtig sei nicht nur die Kommission, die sich mit solchen Fällen beschäftige.

Fortbildungen über "Gute Wissenschaftliche Praxis"

Die Agentur bietet auch Fortbildungen zum Thema "Gute Wissenschaftliche Praxis" etwa für Doktoratsstudenten an, die stark wahrgenommen würden. "Gerade jüngere Generationen wollen das lernen und klare Auskünfte haben", so Rixen, der am Samstagabend bei einer Diskussion in Wien mit dem Titel "Wem vertrauen? Forschung zwischen Glaubwürdigkeit und Instrumentalisierung" im Rahmen des vom Wissenschaftsfonds FWF veranstalteten Forschungsfestivals "Be Open" teilnahm.

Seit sie ihre Arbeit im Juni 2009 aufgenommen hat, sind bei der Kommission 144 Anfragen eingegangen. Bei 37 davon habe sie sich für nicht zuständig erklärt, etwa bei arbeitsrechtlichen Konflikten, 14 Anfragen wurden nicht weiter verfolgt, etwa weil die Hinweise nicht konkret genug waren. Von den übrigen Anfragen wurde "in 40 Fällen wissenschaftliches Fehlverhalten festgestellt, in 31 Fällen haben wir das nicht nachweisen können", sagte der ÖAWI-Chef. Die übrigen Fälle sind noch in Bearbeitung. Die häufigsten Verdachtsfälle waren Plagiate (68), gefolgt von Autorschaftskonflikten (28) sowie Ideendiebstahl, Behinderung der Arbeit anderer Forscher und Datenfälschung (jeweils unter 20 Fälle).

Die ÖAWI wurde immer wieder als Feigenblattaktion kritisiert, weil sie keine Sanktionsmöglichkeiten bei wissenschaftlichem Fehlverhalten hat. Auch wenn es in skandinavischen Staaten durchaus solche Gremien mit Sanktionsgewalt gebe, hält Rixen die österreichische Lösung einer Selbstregulierung der Wissenschaft dennoch für "vernünftig, weil das die einzelnen Forschungseinrichtungen in der Verantwortung lässt.". Ansonsten wäre die Schaffung einer staatlichen Behörde mit Durchgriff auf die einzelnen Forschungseinrichtungen nötig. "Der Staat hätte da viel mehr Einfluss, wie er die Wissenschaft kontrolliert, und ich bin immer für eine Lösung, die der Wissenschaft die Chance gibt, das selbst zu regulieren - aber das muss sie dann auch effektiv tun", so Rixen.

Ein "Problem" sieht der ÖAWI-Kommissions-Vorsitzende etwa darin, dass nicht systematisch bekannt wird, wie die einzelnen Forschungseinrichtungen mit festgestellten Fällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens umgehen. "Wir haben bei den ÖAWI-Mitgliedern angeregt, Rückmeldung zu geben, was manche tun und manche nicht", so Rixen, der hier ein verlässliches Monitoring vermisst. In Österreich, wo Universitäten Bundesangelegenheit sind, wäre es leicht, ein solches Monitoring einzuführen.

Keine Reduktion auf "Detektivspielen"

Grundsätzlich will er die Diskussion um wissenschaftliche Integrität "nicht auf Detektivspielen reduzieren, so wichtig das auch ist". Vorwürfe müssten konsequent aufgeklärt werden, aber noch wichtiger wäre es, das Thema umfassend und frühzeitig anzugehen: "Wir brauchen eine Gute-Wissenschaftliche-Praxis-Compliance und das Bewusstsein dafür müssen wir breit streuen, bereits in der Ausbildung vermitteln und bei der Personalauswahl berücksichtigen." Jede Forschungseinrichtung bräuchte dafür ein Compliance-Konzept - aber nicht nur auf dem Papier, sondern das müsse auch gelebt werden. In so einem Compliance-System wäre die ÖAWI-Kommission nur ein Baustein.

Rixen regt auch an, sich solche Bereiche näher anzuschauen, wo es viele Konflikte gibt, etwa die Medizin und Lebenswissenschaften. Denn er ortet "eine ganze Reihe äußerer, struktureller Gründe und Fehlanreize", die schlimmstenfalls zu wissenschaftlichem Fehlverhalten führen können, etwa wenn Personen auf befristeten Stellen unter hohem Zeitdruck publizieren und gleichzeitig Geld auftreiben müssen, um weiterarbeiten zu können. "Selbstverständlich müssen wir ausbilden und Bewusstsein schaffen, aber all das hilft nichts, wenn wir nicht auch darüber nachdenken, was vielleicht dazu verleitet, die Grenze zwischen gutem wissenschaftlichen Verhalten und Fehlverhalten zu überschreiten. Da muss auch aus der Wissenschaft gegengesteuert werden - Stichwort: Entschleunigung."

Service: Die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) begeht ihr zehnjähriges Bestehen am Montag, 10. September, mit einem Symposium in Wien: http://go.apa.at/bMrvdFiM)

(APA/red, Foto: APA/APA (dpa))

tutor18

Studium.at Logo

© 2010-2021  Hörsaal Advertainment GmbH

Kontakt - Werbung & Mediadaten - Datenschutz - Impressum

Studium.at versichert, sämtliche Inhalte nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert und aufbereitet zu haben.
Für etwaige Fehlinformationen übernimmt Studium.at jedenfalls keine Haftung.