Wiener Forscher entdeckten neue Ursache für dauerhaften Stress

13. September 2018 - 14:05

Wiener Forscher haben gemeinsam mit internationalen Kollegen einen neuen, für die verzögert eintretende Stressreaktion und die Langzeitwirkungen von Stress verantwortlichen Prozess im Gehirn identifiziert. Über das Hirnwasser wird mit einer zehnminütigen Verzögerung nach dem Auftreten von Gefahr derjenige Hirnbereich aktiviert, der auf den Stress reagiert und für das weitere Verhalten verantwortlich ist, berichtete die MedUni Wien.

Nervenzellengruppen im Gehirn lösen Stress aus
Nervenzellengruppen im Gehirn lösen Stress aus

Neben den Wiener Wissenschafter waren auch die Budapester Semmelweis-Universität, das Karolinska-Institut in Stockholm und die amerikanische Yale-Universität an den Forschungen beteiligt. Die Ergebnisse der internationalen Zusammenarbeit könnten neue Perspektiven für das Verständnis der neuronalen Prozesse beim posttraumatischen Stresssyndrom, bei chronischem Stress und bei Burn-out bedeuten.

Bisher waren zwei Hauptstressmechanismen des Hirns bekannt, erklärte Tibor Harkany von der Abteilung für Molekulare Neurowissenschaften am Zentrum für Hirnforschung der MedUni Wien. "Für die Auslösung beider Mechanismen ist eine im Hypothalamus befindliche Nervenzellengruppe verantwortlich", sagte der Wissenschafter. Der eine Prozess sei ein hormoneller Weg, bei dem letztendlich über den Blutstrom aus der Nebenniere heraus innerhalb von Sekunden nach der Stresseinwirkung Hormone freigesetzt werden. "Der andere Prozess, der Weg über die Nerven, ist noch schneller", meinte Harkany. In seinem Verlauf komme es in Sekundenbruchteilen zu einer dem Verhalten entscheidend beeinflussenden direkten Nervenverbindung in Richtung des präfrontalen Cortex.

Verspäteter Stress, der bleibt

Harkany hat nun gemeinsam mit Alan Alpar von der Semmelweis-Universität, Tamas Horvath aus Yale und Tomas Hökfelt vom Karolinska Institut entdeckt, dass dieselben Nervenzellen auch fähig sind, auch auf einem dritten Weg eine Stressreaktion auszulösen, deren Wirkung um einiges später auftritt und dauerhaft ist. Dabei gelangt auch ein für die Entwicklung und Instandhaltung des Nervensystems wichtiges Molekül, der sogenannte ziliare neurotrophe Faktor (CNTF), der im Hirnwasser kreist, zur Stresszentrale.

Da es um einen sich mit dem Hirnwasser ausbreitenden Mechanismus geht, ist er viel langsamer als der über den Blutstrom ablaufende Prozess. Im Hirnwasser wird der Stoff langsamer verdünnt und kann deshalb seine Wirkung länger andauernd entfalten. Die im Hirnwasser befindlichen Moleküle hingegen bombardieren die Nervenzellen des Stresszentrums, die den präfrontalen Cortex kontinuierlich wach halten, unaufhörlich. In dessen Folge kommt es zu einem wacheren Zustand des Nervensystems mit einer höheren Reaktionsfähigkeit.

Laut dem ungarischen Erstautor Alpar ist es sehr wahrscheinlich, dass bei starkem Stress alle drei bekannten Mechanismen einsetzen. Bei der Bildung der verzögerten, und damit dauerhaften Wirkung spielt dieser dritte, von den Forschern identifizierte Prozesstyp eine bedeutende Rolle. "Welche Bereiche des Gehirns für die Antworten auf von außen kommende Stressreize verantwortlich sind, wissen wir seit dem Gesamtwerk des weltberühmten Stressforschers ungarischer Herkunft, Janos Selye. Er war es auch, der beschrieben hat, was in einer Stresssituation passiert, wie der Hypothalamus die Hypophyse, und diese wiederum die Nebenniere aktiviert", erklärte Hökfelt. Stress ist allerdings ein länger dauernder Prozess. Die Möglichkeit einer aus dem Umfeld kommenden Bedrohung kann also auch länger bestehen, was vom Organismus nicht nur einen sofortigen, sondern einen dauerhaften Aufmerksamkeitszustand abverlangt.

Service: Studie im "The EMBO Journal": "Hypothalamic CNTF volume transmission shapes cortical noradrenergic excitability upon acute stress." Alpar A, Zahola P, Hanics J, Hevesi Z, Korchynska S, Benevento M, Pifl C, Zachar G, Perugini J, Severi I, Leitgeb P, Bakker J, Miklosi AG, Tretiakov E, Keimpema E, Arque G, Tasan RO, Sperk G, Malenczyk K, Máté Z et al (2018) EMBO J 37: e100087. DOI: 10.15252/embj.2018100087. http://emboj.embopress.org/cgi/doi/10.15252/embj.2018100087.

(APA/red, Foto: APA/APA (dpa))

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