Wie Twitter-Kampagne Ernährungs-Empfehlungen gezielt unterminierte

26. November 2019 - 12:23

Positiv aufgenommen wurden Anfang des Jahres Empfehlungen von Wissenschaftern zur Zukunft der Ernährung - zumindest in vielen etablierteren Medien. Auf Twitter lief die Rezeption jedoch anders, zeigte nun u.a. ein Wiener Forscher im Fachblatt "The Lancet". Mit einer Kampagne unter dem Hashtag "#yes2meat" wurde gezielt und erfolgreich Stimmung gegen die Empfehlung zu weniger Fleischkonsum gemacht.

"#yes2meat"-Bewegung beeinflusste auch unentschlossene Twitter-User
"#yes2meat"-Bewegung beeinflusste auch unentschlossene Twitter-User

Mitte Jänner wurde von der "EAT-Lancet-Kommission", der 37 Wissenschafter unterschiedlicher Disziplinen aus 16 Ländern angehören, unter dem Titel "The planetary health diet" ein Konzept vorgestellt, in dem erstmals genaue Ernährungsrichtlinien mit dem Ziel formuliert wurden, nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Umwelt zu fördern. Ein zentraler Punkt darin: Pro Tag sollten maximal 35 Gramm an rotem Fleisch konsumiert werden. Im Gegenzug sollten mehr Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse gegessen werden. Dadurch käme es zu einer Reduktion von vorzeitigen Todesfälle um 20 Prozent und zugleich werde dem Klimawandel entgegengewirkt, so die Wissenschafter. Beim Blick in heimische Speisekarten oder Kantinen wird rasch klar, dass Herr und Frau Österreicher davon im Schnitt doch recht weit entfernt liegen.

Seitens großer internationaler Medien wie "The Guardian" oder der "New York Times" wurde das Konzept zwar durchaus positiv aufgenommen. "Es führte aber auch zu hochpolarisierten Online-Debatten, inklusive Desinformation, Verschwörungstheorien und persönlichen Attacken in Zusammenhang mit dem Hashtag '#yes2meat'", schreiben die Autoren der aktuellen Analyse vom Stockholm Resilience Centre und dem Complexity Science Hub (CSH) Vienna.

Debatte zunächst im neutralen Ton gehalten

Die Komplexitätsforscher Victor Galaz, David Garcia und Stefan Daume durchleuchteten rund 8,5 Millionen Tweets, die von 4.278 Nutzern in Zusammenhang mit dem Thema "#EAT-Lancet" und "#yes2meat" abgesetzt wurden. Dabei zeigte sich, dass bereits Tage vor der Veröffentlichung des Berichts unter "#yes2meat" eine zunächst eher in neutralem Ton gehaltene, aber durchaus lebhafte Debatte begonnen wurde, heißt es in einer Aussendung des CSH. In der Zeit danach wurde der Ton rauer und Erkenntnisse der Kommission direkt angegriffen. Im Fortgang der Diskussion überstieg dann die Reichweite der negativen Kampagne auf Twitter jene der ausgewogenen Berichterstattung. Während im Untersuchungszeitraum Kritiker dort 26 Millionen Menschen erreichten, ging die Botschaft von Wissenschaftern und Befürwortern an rund 25 Mio. Menschen.

Die Komplexitätsforscher werten in ihrer nunmehrigen Arbeit die "'yes2meat"-Bewegung als Rückschlag für den EAT-Lancet-Bericht. Es sei der Kampagne offenbar auch gelungen, viele ursprünglich unentschlossene Twitter-User zu beeinflussen. Auffällig war zudem, dass die Pro-Fleisch-Aktivitäten nachweislich nicht von sogenannten "Social Bots" - also Programmen, die automatisch Nachrichten versenden, aber so tun als wären sie "echte" Nutzer - getragen wurden.

Für Koautor Galaz ist es "zutiefst beunruhigend zu sehen, dass Erkenntnisse aus einer ambitionierten und sorgfältigen wissenschaftlichen Analyse, wie sie die EAT-Lancet-Kommission vorgelegt hat, in sozialen Medien derart erfolgreich konterkariert werden können". Für den am CSH und an der Medizinischen Universität Wien tätigen Garcia zeigt die Studie, "dass die wissenschaftliche Kommunikation in sozialen Medien viel komplexer ist als jene über traditionelle Massenmedien. Mit unseren Ansätzen können wir öffentliche Gespräche jedoch gut erfassen und analysieren. Die Erkenntnisse helfen dann im Diskurs mit der Öffentlichkeit."

Service: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(19)32526-7

(APA/red, Foto: APA/APA (dpa))

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