Was die Wissenschaft zur Abnabelung von Technologien beitragen kann

7. Dezember 2021 - 11:05

Alles hat ein Ende: Die triviale Weisheit trifft auf Menschen wie auf Technologien zu. Wie diese in der Wissenschaft "Discontinuation Dynamics" oder "Beendigungsprozesse" genannten Vorgänge bei Technologien ablaufen, erklärt die Forscherin Stefania Sardo in einem Online-Vortrag des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften am Dienstag. Mit der APA sprach sie im Vorfeld über Beendigungsprozesse in Wissenschaft und Gesellschaft.

Erst ein Skandal brachte den Diesel zu Fall
Erst ein Skandal brachte den Diesel zu Fall

"Beendigungsprozesse sind immer da, von Beginn an einer Technologie und sie koexistieren mit Fortführungsprozessen", erläuterte die Wissenschafterin von der School of Social Sciences and Technology der Technischen Universität München. Die interessante Frage sei, wer über Fortführung und Beendigung diskutiert und entscheidet. "Wer darf sagen, eine Technologie wird weitergeführt oder nicht? Das ist keine natürliche Gegebenheit." Zur Illustration gibt sie das Beispiel des sogenannten Diesel-"Skandals".

"Die Verschmutzung durch den Diesel war seit Jahren bekannt. Auch, dass es eine Diskrepanz gab zwischen den Emissionswerten auf der Straße und denen im Labor", betonte Sardo. Die Frage bliebe, wie das Narrativ, dass Diesel mit Blick auf CO2-Emissionen gut für die Umwelt sei, konstruiert wurde. Wie es sich gegen jenes durchsetzen konnte, dass Diesel eine schmutzige Technologie ist, zum Beispiel in Bezug auf Stickstoffoxide und andere Partikel, sei offen.

Denn so sei der Treibstoff in den 1990er-Jahren breit eingeführt worden, als ein Wegbereiter zum CO2-sparenden Fahrzeug. "Obwohl Expertinnen und Experten natürlich auch damals wussten, dass es eine ganze Menge anderer Probleme mit dem Diesel gibt." Damals sei der Fokus aber auf CO2-Einsparungen gelegen und darauf habe man sich konzentriert.

Ans Ende bereits am Anfang denken

Über das Ende von Technologien sollte man am besten schon bei ihrer Einführung oder ihrer Expansionsphase nachdenken, so Sardo. Innovations- oder Unternehmenswissenschafter seien alle "bereit, sich über Unsicherheiten von Technologie Gedanken zu machen." Aber im Allgemeinen spreche man nicht viel über ihr Ende. Dies sei vielleicht ein Teil unserer Kultur. "Beendigung ist ein bisschen wie der Tod. Es ist ein Teil von uns, nicht nur in Bezug auf Technologien, sondern von uns als menschliche Wesen." Ein Teil, den wir vielleicht lieber ausblenden, wenn wir in der aufregenden Phase der Einführung oder der Entstehung von etwas Neuem sind.

Würde sich dann nicht eine Abschiedskultur anbieten, müsste man um Technologie trauern? "Warum nicht? Es gibt viele Möglichkeiten, sich mit Beendigungsversuchen auseinanderzusetzen. Wir sollten gemeinsam mehr über den Prozess der technologischen Beendigung sprechen. Beispielsweise darüber, wie man etwas weiterführt, was die möglichen Konsequenzen sind und für wen", sagte Sardo. Genauso wichtig sei jedoch der Prozess des Reparierens. Denn ein Beendigungsprozess sei nicht notwendigerweise eine komplette Auslöschung.

Wann beginnt das Ende?

Der Beendigungsprozess werde unumgehbar, wo Spannungen entstünden, wie in der Architektur. "Es gibt jetzt Steueranreize für nachhaltigere Gebäude." Ein Haus zu renovieren, sodass es energiesparsam ist, sei eben ein Prozess des "Reparierens". Hierbei werde gerade sowohl ein Fortführungs- als auch ein Beendigungsprozess durchgeführt.

Und wer entscheidet nun, wann ein Prozess beendet oder repariert werden muss: Ist es die Gesellschaft, die mit Blick auf Atomenergie oder den Ottomotor die Kalamitäten der Wissenschaft wieder einfangen muss, obwohl doch die Expertinnen und Experten eigentlich dort die Folgeabschätzung besser hätten leisten können? Sardo: "Das ist ein Teil der Diskussion über Verantwortung, was sind verantwortbare Forschungsinnovationen oder Forschungsbeendigungsprozesse, wie können wir darüber als Gesellschaft sprechen. Wir sollten zu mehr gemeinsamen Diskussionen über die Beendigung von Technologien und Praktiken ermuntern."

Es gebe jedoch keine Blaupause, wie man das für die verschiedenen Technologien machen könnte. Denn Beendigungsprozesse beträfen Menschen, Industrien, Gemeinschaften und Nationen auf ganz verschiedene Art und Weise. Top-down-Maßnahmen sollten laut der Expertin jedenfalls vermieden werden.

Service: Online-Seminar "Rethinking Discontinuation Dynamics: Lessons from the Diesel Automobile Industry": Dienstag, 7. Dezember, 13.30 bis 15 Uhr. Anmeldung über: [email protected]

(APA/red, Foto: APA/APA/dpa/Marijan Murat)

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