Was die Militärtechnologie in vorindustrieller Zeit angetrieben hat

20. Oktober 2021 - 20:05

Die entscheidenden Faktoren für die Entwicklung neuer Militärtechnologien in vorindustrieller Zeit hat ein Forscherteam um den russisch-amerikanischen Komplexitätsforscher Peter Turchin vom Complexity Science Hub (CSH) Vienna analysiert. Als Haupttreiber der militärtechnischen Entwicklung identifizierten sie im Fachjournal "Plos One" die zunehmende Vernetzung zwischen Gesellschaften über große Entfernungen hinweg und Schlüsselinnovationen wie Eisenmetallurgie und Kavallerie.

Mongolischer Bogenschütze: Militärtechnik ließ Großreiche entstehen
Mongolischer Bogenschütze: Militärtechnik ließ Großreiche entstehen

Militärische Erfindungen werden auch als Triebkraft für weitreichende soziokulturelle Prozesse angesehen, "sie können kaskadenartige Auswirkungen auf die kulturelle und soziale Entwicklung haben", erklärte Turchin gegenüber der APA. Als Beispiel nennt er die Entwicklung des Zaumzeugs, "die den Menschen ermöglichte, Pferde effektiv zu kontrollieren, was zum Auftreten von berittenen Bogenschützen und Rittern führte und viele Fortschritte bei Waffen, Rüstungen und Befestigungsanlagen förderte". Doch die Mechanismen, die Innovation und Verbreitung neuer Militärtechnologien in vorindustriellen Gesellschaften vorantrieben, seien bisher unklar, betonen die Forscher in ihrer Arbeit.

Hypothesen statistisch überprüft

Sie nutzten für ihre Analyse die ursprünglich von Turchin entwickelte "Global History Databank Seshat", in die historische und archäologische Daten für zahlreiche Gesellschaften vom späten Neolithikum bis zur Gegenwart eingeflossen sind. Anhand dieser Daten überprüften die Wissenschafter mit mathematischen und statistischen Methoden empirisch frühere Hypothesen über den militärtechnischen Fortschritt in vorindustriellen Gesellschaften.

Sie bündelten dazu das Vorhandensein oder Fehlen verschiedener militärischer Technologien in einem politischen System ("polity") - sei es eine autonome lokale Dorfgemeinschaft, ein Stammesgebiet oder Staaten und Imperien - in sechs allgemeine "Kriegsführungs-Merkmale" ("Warfare Characteristics"): Metalle, die bei der Herstellung von Waffen und Rüstungen verwendet werden, die Vielfalt der Geschoße und Handwaffen, die Ausgereiftheit der Rüstungen, die Verwendung von Transporttieren und verschiedene Arten von Verteidigungsanlagen. Diese wurden schließlich für einen Zeitraum von rund 10.000 Jahren für 373 historische politische Systeme in allen Weltregionen für die Analyse herangezogen.

Besonderer Einfluss der Kavallerie

"Unsere Analyse zeigt, dass dieses Bündel militärischer Technologien einer der wichtigsten Faktoren für die Entstehung von Mega-Imperien und Weltreligionen im ersten Jahrtausend vor Christus war", so Turchin. Zudem konnten die Forscher mehrere frühere Hypothesen bestätigen. Demnach waren die Größe der Weltbevölkerung, die Verbindung zwischen Regionen, in denen die Technologie erfunden wurde, sowie Schlüsselinnovation wie Fortschritte in der Eisenmetallurgie und das Reiten als Voraussetzung für berittene Truppen zentrale Triebkräfte der militärtechnologischen Entwicklung.

So habe insbesondere die Kavallerie einen starken Einfluss auf das spätere Niveau von militärischen Technologien gehabt, schreiben die Wissenschafter. Die nomadischen Hirtenvölker der eurasischen Steppen, die schon früh berittene Bogenschützen einsetzten, hätten nicht nur die technologische Innovation unter den nahe gelegenen Agrarvölkern vorangetrieben, sondern auch zur Ausbreitung der sozialen Komplexität und der damit verbundenen technologischen Entwicklung in ganz Afro-Eurasien beigetragen.

Überraschende Erkenntnisse

Im Gegensatz zu diesen äußeren Einflussfaktoren hätten die in einer Region vorherrschenden Charakteristiken wie Bevölkerungsgröße, Territoriumsgröße, Ausgereiftheit der Informationssysteme und Verwaltungseinrichtungen, das Vorhandensein von Infrastruktur und die Bereitstellung öffentlicher Gütern keine wesentliche Rolle für den "Aufstieg der Kriegsmaschinen" ("Rise of the war machines"), wie die Forscher ihren Fachartikel übertitelten, gespielt. Dass Größe und interne Komplexität von Staaten nur einen sehr geringen Einfluss hatte, war für die Wissenschafter "überraschend".

Sehr wohl Einfluss hatte dagegen die "Vererbung technologischer Fähigkeiten von einem 'gemeinsamen Vorfahren'" - so wie etwa die politischen Systeme im heutigen Italien und Frankreich Technologien vom Römischen Reich übernommen haben, oder die leichtere Verbreitung von Innovationen zwischen kulturell ähnlichen Ländern. Auch die landwirtschaftliche Produktivität könnte einen signifikanten Einfluss auf das spätere Niveau militärischer Technologien haben. "Vielleicht war eine effizientere Produktivität erforderlich, um eine ausreichend große Bevölkerung zu ernähren, die nicht in erster Linie in der Landwirtschaft beschäftigt war. Oder die Ausweitung der allgemeinen Ressourcenbasis einer Gesellschaft lieferte die Rohstoffe und Zwischenprodukte, die für die Entwicklung wichtiger Militärtechnologien benötigt wurden", heißt es in der Arbeit.

Service: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0258161

(APA/red, Foto: APA/APA/AFP/BYAMBASUREN BYAMBA-OCHIR)

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