Was das Higgs-Boson mit Ahornsirup zu tun hat

27. Februar 2020 - 16:23

"Es ist nichts anderes als ein angeregter Zustand des Brout-Englert-Higgs-Feldes", sagt Pauline Gagnon über das Higgs-Boson. Hier könnte die Geschichte enden und alle gehen zufrieden, aber unwissend nach Hause. Wer jedoch mehr über Teilchenbeschleuniger, die Grundbestandteile der Materie und des Universums wissen will, dem sei das vor kurzem auf Deutsch erschienene Buch der Teilchenphysikerin, "Was kommt nach dem Higgs-Boson?", ans Herz gelegt.

Wissenswertes rund um die Teilchenphysik
Wissenswertes rund um die Teilchenphysik

Obwohl noch lückenhaft, lassen sich mit dem 1967 formulierten Standardmodell der Teilchenphysik die kleinsten Bausteine und Kräfte der Welt gut erklären. Demnach besteht die gesamte Materie aus fundamentalen Teilchen, nämlich Leptonen und Quarks, die gemeinsam als Fermionen bezeichnet werden. Diese wechselwirken untereinander, indem sie Bosonen genannte Teilchen austauschen. Was lange Zeit fehlte und nur in der Theorie erklärt werden konnte, war sozusagen der Kitt, der all das zusammenhält und den Partikeln Masse verleiht. Dieses fehlende Puzzlestück wurde 2012 am europäischen Kernforschungszentrum CERN nachgewiesen und nach seinem Entdecker Peter Higgs benannt. Für die Vorhersage des Bosons erhielten Higgs und Francois Englert 2013 den Physik-Nobelpreis.

Reise an den Ursprung

Der Jahrzehnte dauernde Weg zu diesem feierlichen Moment, und alles was damit zusammenhängt, ist nicht nur für Physik-Nerds und Naturwissenschafter faszinierend zu lesen. Zu erfahren, woraus alles und jedes im Innersten besteht und zusammengehalten wird, ist eine Reise in schwer vorstellbare Winzigkeiten. Denn gerade dort liegt der Schlüssel, die Ursprünge des Universums verstehen zu können. Am CERN ist man mit Hilfe des ringförmigen, 27 Kilometer langen Teilchenbeschleunigers LHC (Large Hadron Collider) bekannten und noch unbekannten Teilchen auf der Spur, die sich kurz nach dem Urknall gebildet haben. Dazu werden zum Beispiel Protonen annähernd auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und zur Kollision gebracht. In speziellen Detektoren, genannt z.b. ATLAS, CMS, LHCb oder ALICE, werden die Kollisionen ausgewertet.

Gagnon war als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim ATLAS-Experiment direkt an der Suche nach dem Higgs-Boson beteiligt, die sie mit der Herstellung von Ahornsirup vergleicht. "Schlussendlich muss man 27 Liter Ahornsaft destillieren, um ein Liter Sirup zu erhalten. Genauso muss man sechs Millionen Ereignisse sammeln, um hoffen zu können, ein einziges Higgs-Boson zu finden."

Ähnlich anschaulich und plakativ werden auch alle anderen Vergleiche für physikalische Phänomene geschildert ("Ein Teilchenzerfall ähnelt dem Umtauschen einer großen Münze in Kleingeld") und mit Grafiken, Fotos und Infokästen illustriert. "Mathematische oder andere wissenschaftliche Vorkenntnisse sind nicht nötig", heißt es in der Einführung, und die nunmehrige Wissenschaftsjournalistin hält Wort. Legosteine und Plüschtiere aus dem "Teilchenzoo" werden aufgeboten, um die Elementarteilchen und ihr Verhalten zu verdeutlichen und praktische "Merkzettel" fassen am Ende eines jeden Kapitels die wichtigsten Inhalte zusammen.

Genug Raum für Entdeckungen

Was nach dem Higgs-Boson kommt? Raum für weitere Funde gibt es mehr als genug, denn das Standardmodell erklärt nur fünf Prozent des gesamten Inhalts des Universums. Gagnon hält es für wahrscheinlich, dass in den kommenden Jahren durch den LHC noch eine Reihe bedeutsamer Entdeckungen gelingen werden, darunter die Supersymmetrie (die Physik der Phänomene, die über das Standardmodell hinausgehen), ein genaues Verständnis des Higgs-Bosons, die erste Abweichung vom Standardmodell und "Licht in die dunkle Materie".

Die gebürtige Kanadierin hat nach eigener Aussage schon als Kind davon geträumt, die fundamentalen Bestandteile der Materie zu verstehen. Im Forschungsalltag scheint aber bei aller Begeisterung nicht nur die Sonne. Frauen und Minderheiten müssen am männerdominierten CERN nach wie vor um Gleichbehandlung kämpfen und auch Homophobie ist dort noch immer ein Problem. Darum hat Gagnon dem Thema "Diversität in der Physik" ein eigenes Kapitel gewidmet. CERN habe die Möglichkeit und die moralische Verpflichtung, ein Beispiel auf allen Ebenen zu setzen. Letztlich liege darin auch eine Zukunftschance: "Denn Diversität ist synonym mit Kreativität, und die Wissenschaft kann durch sie nur gewinnen."

Service: Pauline Gagnon, "Was kommt nach dem Higgs-Boson? Teilchenphysik, Large Hadron Collider und CERN verständlich gemacht". Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; 2019, 290 Seiten. Print: ISBN 978-3-7001-8683-0, Preis: 19,80 Euro.

(APA/red, Foto: APA/Verlag der ÖAW)

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