Svante Pääbo: Moderner Mensch ließ Neandertaler und Co aussterben

18. Mai 2018 - 10:05

Der Paläogenetiker Svante Pääbo sequenzierte 2009 das Neandertaler-Genom und zeigte, dass Teile davon im Erbgut heutiger Menschen sind. Zudem identifizierte 2010 die vor 40.000 Jahren lebenden Denisova-Menschen anhand von DNA-Resten. Anlässlich eines Vortrags bei der Feierlichen Sitzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien sprach die APA mit dem Forscher.

Schwedischer Paläogenetiker forscht am Neandertaler-Genom
Schwedischer Paläogenetiker forscht am Neandertaler-Genom

APA: In ihren frühen Tagen haben die modernen Menschen gemeinsam mit Neandertalern und Denisova-Leuten existiert. Was fehlt diesen beiden Menschenarten, warum sind sie ausgestorben und die modernen Menschen übrig geblieben?

Pääbo: Ich glaube nicht, dass ihnen etwas fehlte, es liegt meines Erachtens ziemlich sicher an uns modernen Menschen. Heute sind zum Beispiel die Orang-Utans vom Aussterben bedroht, und wir wissen genau, was der Grund ist. Es liegt nicht an ihnen, sondern an uns, an der Abholzung, dem Wildern und so weiter. Genau so war es wohl, als sich die modernen Menschen verbreiteten. Die Neandertaler in Europa sind verschwunden, die Denisova Leute in Asien und die Hobbits in Indonesien waren auf einmal weg, und auch andere Menschenformen in Afrika, die es damals gab. Ich denke, es liegt irgendwie an dem Verhalten der modernen Menschen. Wir sollten also in unserem Erbgut nach dem Grund ihres Verschwindens suchen. Das kann man durch einen Vergleich des Genoms moderner Menschen etwa mit jenen von Neandertalern und Denisovanern untersuchen.

APA: Haben Sie schon eine Vermutung oder gibt es konkrete Daten, was es sein könnte.

Pääbo: Eigentlich nein, es gibt nur Spekulationen. Ich vermute, es liegt daran, dass das Verhalten der modernen Menschen in mancher Hinsicht anders ist, als bei allen anderen Menschenformen. Die Neandertaler und andere ausgestorbene Menschenarten haben viel länger existiert, als moderne Menschen, etwa 400.000 Jahre gegenüber 200.000 Jahren. Sie sind aber nie nach Amerika gekommen, nie nach Australien, mit wenigen Ausnahmen haben sie Wasser nur überquert, wo man Land auf der anderen Seite sieht.

Das änderte sich drastisch, als die modernen Menschen kamen. In nur 50.000 bis 60.000 Jahren besiedelten sie alle großen Kontinente und jede kleine Insel bis ans Ende der Welt. Wir sind irgendwie verrückt und die anderen waren es nicht. Wir können auch nie aufhören, jetzt wollen wir sogar zum Mond und zum Mars. Es gibt also etwas bei modernen Menschen, dass sie sehr expansiv macht. Dadurch kam es wohl zu Konflikten oder zur Verdrängung von anderen, nahe verwandten Menschenformen, genauso wie wir es heute noch bei den Menschenaffen sehen.

APA: Sind daran vielleicht Gene beteiligt, die im Hirn aktiv sind und eine andere Art des Verhaltens hervorrufen?

Pääbo: Es hat wohl irgendwas mit unserer Kognition (Wahrnehmung; Anm.) und dem Verhalten zu tun. Der moderne Mensch tickt vielleicht im sozialen Bereich irgendwie anders, und hat eine Tendenz, große Gesellschaften zu bilden.

APA: Das heißt, es könnten auch Sprache und Kooperation grundlegend anders sein, und da gibt es vielleicht Gene zu finden, die das unterschiedlich beeinflussen?

Pääbo: Ja, genau.

APA: Es gibt die modernen Menschen nun seit ein paar hunderttausend Jahren und sie haben sich stets weiterentwickelt. Passiert dies auch heute noch, oder ist die menschliche Evolution zum Stillstand gekommen?

Pääbo: Jedes Kind, das geboren wird, hat 50 bis 100 neue Mutationen, die weder vom Vater, noch von der Mutter kommen, und die Häufigkeit von genetischen Varianten trennen sich in den Populationen auf. Wir verändern uns also die ganze Zeit. Aber für die wesentlichen Dinge sind unser Verhalten und die Kultur wichtiger als die biologische Evolution. Seitdem wir Straßenverkehr und schnelle Autos haben, sind Verkehrsunfälle ein großes Risiko für unsere Kinder. Aber wir warten nicht auf Mutationen, die sie vorsichtiger machen, wenn sie die Straße überqueren. Wir bringen ihnen bei, links und rechts zu schauen und einen Zebrastreifen zu benutzen. Das ist eine kulturelle Antwort auf eine neue kulturelle Bedrohung. Heute ist also die soziale Entwicklung viel wichtiger als die biologische.

APA: Was kann man noch alles von "alter DNA" lernen?

Pääbo: Wir haben zum Beispiel von ihr erfahren, dass die modernen Menschen vor etwa 600.000 Jahren einen gemeinsamen Ursprung mit Neandertalern hatten, später haben sie sich wieder getroffen und tatsächlich miteinander gemischt, also Kinder gezeugt. Diese wurden in die Gesellschaft der modernen Menschen integriert und hatten ihrerseits Nachwuchs, sodass ein paar Prozente Erbgut bei allen Menschen außerhalb Afrikas von Neandertalern stammen.

APA: Wenn man die Genome von Neandertalern und Denisovanern einmal gut genug kennt, könnte man diese ja einmal klonen, was auch schon von so manchem Wissenschafter vorgeschlagen wurde. Was halten Sie davon, ist das technisch möglich und ethisch vertretbar?

Svante Pääbo: Weder noch, würde ich sagen. Selbst bei modernen, heute lebenden Menschen würden wir das Erbgut dazu nicht gut genug kennen. Wir haben zwar die genauen Sequenzen, aber ein Drittel des Genoms ist repetitiv, es gibt also darauf mehrere Kopien verschiedener Sequenzen. Diese repetitiven Teile sind funktionell wichtig, aber wir wissen nicht genau, wo wir sie jeweils genau zuordnen sollen, und werden es auch nie wissen. In den gut bekannten zwei Dritteln sind 30.000 Veränderungen, die bei allen jetzt lebenden Menschen vorhanden sind, nicht aber bei Neandertalern. So viele Veränderungen können wir heute nicht in ein Genom einfügen. Das nächste Hindernis ist für mich die Ethik. Wir können ja nicht aus purer wissenschaftlicher Neugier einen Menschen erzeugen! Wir wollen nicht einmal in die Keimbahn eingreifen, um furchtbare Krankheiten zu vermeiden. Das wäre noch viel weniger bedenklich, als Leute aus Lust und Laune zu erzeugen. So was vorzuschlagen, ist einfach lächerlich!

APA: Sie haben beim Denisova Menschen schon für Aufsehen gesorgt, als Erbgut aus einem winzigen Knochenstück ausreichte, um eine neu Art zu identifizieren, jetzt konnten Sie mit Kollegen sogar DNA aus Sand von Höhlenböden extrahieren und sequenzieren - wie kann es sein, dass sie dort so lange intakt ist?

Pääbo: Die DNA ist irgendwie an Mineralien im Sand gebunden und mich hat eigentlich selbst überrascht, dass dies möglich ist. Es ist aber freilich viel weniger DNA im Sand als in Knochen, und wir können zwar nachweisen, dass es Neandertaler in dieser Höhle gab, aber nicht ihr Genom daraus rekonstruieren. Das Ganze ist sozusagen eine Art forensischer Untersuchung, wer dort war. Wir wissen auch nicht, wovon diese DNA stammt, ob von Blut, Kot, oder anderem.

APA: Es gibt in Österreich ein paar Plätze, wo man zwar keine Neandertaler-Knochen gefunden hat, aber ihre Artefakte. Würde es dort Sinn machen, im Sand nach ihrer DNA zu suchen, sowie generell in allen Höhlen, wo man vermutet, dass dort einmal diese oder jene Menschenart war?

Pääbo: Auf jeden Fall! Wir machen das bei manchen Fundstätten Europas, wo man nicht genau weiß, ob die Kulturgegenstände von Neandertalern hergestellt wurden oder von modernen Menschen, weil sie von Übergangskulturen stammen. Da wollen wir klären, wer sie gemacht hat. Genauso bei den Denisovanern in Asien, um zu sehen, wo sie überall waren. Deshalb wollen wir einige Höhlen etwa in China und Vietnam untersuchen.

APA: Glauben Sie, dass es möglich wird, an Gegenständen, die jemand vor tausenden Jahren in der Hand gehalten wurde, DNA nachzuweisen.

Pääbo: Wir haben ein paar Versuche mit Gesteinswerkzeugen gemacht, wo man Verfärbungen sieht, die vielleicht von Blut oder so stammen, aber bis jetzt hatten wir keinen Erfolg. Ich würde nicht total ausschließen, dass es möglich ist, bin da aber nicht sehr hoffnungsvoll.

APA: Ein anderes aktuelles Ergebnis von Ihnen ist die Sequenz eines weiteren Denisova Individuums. Was hat dies Neues gebracht?

Pääbo: Es zeigte, dass die Denisovaner mehr genetische Variation hatten, als die Neandertaler. Sie waren also zumindest über die Zeit gesehen eine größere Population. Eine amerikanische Gruppe, die das Genom heute in Asien lebender Menschen mit unseren Denisova-Sequenzen verglichen hat, zeigte kürzlich, dass es mindestens zwei Denisova-Populationen gegeben hat, die zum Erbgut der heutigen Asiaten beigetragen haben. Es scheint also, dass sie mehr waren und räumlich weiter verbreitet waren, als die Neandertaler.

APA: Warum findet man dann so wenig von ihnen, wenn die Denisovaner so viele Individuen waren?

Pääbo: Wir wissen nicht, wie sie von der Morphologie her aussahen. Ich glaube, dass wir schon viel mehr Knochen von den Denisovanern haben, als die meisten denken. Es gibt etliche Funde, wo die Leute sagen: Das sieht ein bisschen wie Neandertaler aus, aber nicht ganz, oder so. In Zukunft, wenn man daraus DNA gewinnen kann, wird man bei vielen solcher Fundstätten wahrscheinlich draufkommen, dass dies eigentlich Denisovaner sind.

(Das Gespräch führte Jochen Stadler/APA)

Zur Person: Der schwedische Mediziner und Biologe Svante Pääbo (63) gilt als Begründer der Paläogenetik. 1984 gelang ihm als Doktorand erstmals die Klonierung der DNA einer Mumie. Er hat sich auf evolutionäre Genetik spezialisiert. Seit 1999 leitet er am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie die Abteilung Evolutionäre Genetik.

(APA/red, Foto: APA/APA (dpa/MPG/Frank Vinken))

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