Die Schäden in den Wäldern Mitteleuropas, die durch die Trockenheit und die sich verstärkt ausbreitenden Schädlinge entstanden sind, stießen laut Forschern zwischen 2018 und 2020 die größten Veränderungen seit rund 170 Jahren an. Die vom Klimawandel mitverursachte Stressoren-Kombination ging laut einer in der Fachzeitschrift "Proceedings B" vorgestellten Studie an wenigen Wäldern unbemerkt vorbei. Am stärksten unter Druck geraten Fichtenwälder - wie auch diese Analyse zeigt.
Unter "Störungen" versteht das Forschungsteam um den an der Technischen Universität (TU) München tätigen österreichischen Forstwissenschafter Rupert Seidl größere Wellen des Baumsterbens bzw. der Waldverjüngung. Eine solche hat sich in unseren Breiten u.a. zwischen den Jahren 2018 und 2020 ereignet, als lange anhaltende Trockenheit viele Bäume schädigte und für die sich munter vermehrenden Borkenkäfer (Scolytinae) empfänglicher machte. Am schlimmsten traf es damals Teile Deutschlands und Tschechiens.
120 Waldflächen in Süd- und Mitteldeutschland untersucht
Das Team hat untersucht, was sich in Folge der Dürre und Hitze auf 120 Waldflächen in Süd- und Mitteldeutschland getan hat. Darunter waren stärker bewirtschaftete Gebiete, wo Totholz vermehrt abtransportiert und Bäume nachgepflanzt werden, sowie mehr oder weniger unbewirtschaftete Flächen. So analysierten Seidl und Kollegen die Regeneration unter verschiedenen Bedingungen.
Eine Erkenntnis dabei war, dass man sich um die Bewaldung Mitteleuropas insgesamt zur Zeit eher weniger Sorgen machen müsste: Denn auch auf unbewirtschafteten, stärker vom Baumsterben betroffenen Flächen zählten die Wissenschafter bereits zwei bis vier Jahre später viel Baum-Nachwuchs. Einen Trend zu offeneren Wäldern, wie er vielfach unter wärmeren und trockeneren Bedingungen erwartet wird, sahen die Experten in unseren Breiten nicht.
Als widerstandsfähig - die Forscher sprechen von "resilient" - entpuppten sich in der Analyse nur knapp mehr als 36 Prozent der untersuchten Flächen. Umgekehrt fanden sich auf rund zwei Drittel Anzeichen von Veränderungen nach Dürre oder Schädlingsbefall. Einen starken Wandel registrierte das Team auf ungefähr 16 Prozent aller untersuchten Waldflächen.
Fichtenwälder am wenigsten resilient
Die stärksten Umwälzungen, respektive die niedrigste Resilienz, registrierte man in Fichtenwäldern. Nachdem die Fichte rund 150 Jahre lang stark beworben wurde, liege nun der Fokus darauf, neue Wege zu gehen: Gerade in Fichten-dominierten Wäldern in niedrig liegenden Gebieten in Mitteleuropa sei es begrüßenswert, dass man zu besser Klimawandel-angepassten Baumzusammensetzungen komme, halten die Wissenschafter einmal mehr fest. Letztlich würden sowohl der Klimawandel, als auch vorausschauendes Waldmanagement die Fichten-Anteile in unseren Breiten also reduzieren.
Etwas überraschender für die Forscher war es, dass offenbar auch Buchenwälder stärker von merklichen Veränderungen nach Trocken- und Schädlingsstress betroffen waren. Auch diese, einst dominante Spezies in Mitteleuropa dürfte also unter den klimatischen Veränderungen leiden. Insgesamt könne man festhalten, dass die letzte große Welle des Baumsterbens in Europa die Veränderung der Zusammensetzung der Wälder beschleunigt hat, schreiben die Forscher.
"Großflächige Störungen leiten Wandel im Wald ein"
Seidl betonte gegenüber der APA, dass die Ergebnisse aus Deutschland "auch für die Bedingungen in Österreich außerhalb des Alpenbogens relevant" sind. Das gelte vor allem für die ab 2018 stark betroffenen Gegenden beispielsweise in Ober- und Niederösterreich. Um die etwas andere "Situation in den Alpen und die großen Störungen südlich des Alpenhauptkamms", wie etwa in Osttirol, besser zu verstehen, brauche es jedoch eigene Untersuchungen. Seidl: "Die generelle Erkenntnis, dass großflächige Störungen einen Wandel im Wald einleiten, ist jedoch auch hier zutreffend."
Der Forstwissenschafter plädiert angesichts der Studienergebnisse dafür, "den Impuls der Störung in der Waldbewirtschaftung zu nutzen, um klimafitte Wälder der Zukunft zu begründen". Man sehe in der Untersuchung klar, dass es durch Waldbewirtschaftung nach Störungen "zu einem deutlichen Wechsel in der Baumartenzusammensetzung kommt". Die Forstwirtschaft sei also schon "aktiv dabei, den Wald an die neuen Bedingungen anzupassen. Gleichzeitig bietet die Störung auch eine Chance, den Wald zu diversifizieren und zum Beispiel mancherorts Totholz im Wald zu belassen oder auch natürlich ankommende Baumarten wie Birken und Aspen in die Bewirtschaftung miteinzubinden". Das erhöhe die Resilienz des neuen Bestandes "und trägt gleichzeitig auch zum Abfedern des fortschreitenden Verlustes der Artenvielfalt bei", betonte Seidl.
IUFRO: Nachhaltige Waldbewirtschaftung stärker fördern
Auf die Umwälzungen, die die klimatischen Veränderungen und die zuletzt virulenten Wetterkapriolen mit langen Hitzewellen, Temperatursturz sowie Starkregen mit anstoßen, weist auch die "International Union of Forest Research Organizations" (IUFRO), ein in Wien ansässiger Forschungsverbund, in einer Aussendung hin: Um den notwendigen Wandel auf den Weg zu bringen, bedarf es Kooperationen zwischen Wissenschaft, Politik und Forstwirtschaft und "einer stärkeren Förderung nachhaltiger Waldbewirtschaftung und Anpassungsstrategien". Die Vereinigung hat im Zuge ihres heurigen Weltkongresses auch eine Deklaration zu dem Thema verfasst.
Service: Die Publikation online: https://doi.org/10.1098/rspb.2024.0625; IUFRO-Deklaration: https://go.apa.at/naExgR7Y
(APA/red, Foto: APA/APA/dpa/A3582 Alexander Rüsche)