Österreich ist ein Land vieler Sprachen. Gesprochen werden sie nicht nur von Minderheiten und Migranten, sondern - in Form von Dialekten - auch von den Österreichern und Österreicherinnen. Die Sprachvielfalt bereichere das Land, so die Sprachwissenschafter Stephan Elspaß und Stefan-Michael Newerkla im APA-Interview. Bei der "Conference on Language Variation in Europe" ("ICLaVE|11") in Wien sprechen sie am 11. April über sich gegenseitig beeinflussende Sprachen in Österreich.
Eine Antwort darauf zu finden, wie viele Dialekte es in Österreich gibt, sei nicht möglich, sagte der Germanist Elspaß, der an der Paris Lodron Universität Salzburg forscht. Auf die Maximalzahl komme man, wenn man alle Dörfer in Österreich durchzähle; wichtig sei allerdings die Unterteilung in Alemannisch im äußersten Westen und Bairisch im restlichen Österreich. Diese Vielfalt sei nicht nur im internationalen Vergleich eine Besonderheit - im Nachbarland Deutschland gebe es etwa weniger Dialektsprecher - sondern könne auch sprachliche Identität stiften.
Vom Konzept des "Österreichischen" als eigener Sprache sind die Wissenschafter allerdings nicht überzeugt. Dieses Konzept findet Elspaß "aus linguistischer Sicht ziemlich absurd". Hintergrund für diese Überlegung seien eine versuchte Abgrenzung von Deutschland und sprachpolitische Aspekte. Es wäre falsch, ein einziges österreichisches Deutsch zu postulieren, meinte auch Newerkla, Professor für Westslawische Sprachwissenschaft an der Universität Wien.
Austausch mit gänzlich anderen Sprachen
Die Vielzahl an Dialekten war und ist ständig im Wandel, sei es durch einen Austausch untereinander oder mit gänzlich anderen Sprachen. Auf dem heutigen Gebiet Ostösterreichs hätten früher schon Slawen gesiedelt, in der zweiten Hälfte der Habsburgermonarchie sei es aufgrund von Migrationsbewegungen aus Böhmen und Mähren nach Wien zu Kontakten auf der Ebene der Alltagssprache gekommen. Diese Menschen hätten schließlich nicht mehr Tschechisch, sondern Deutsch gesprochen. "Dabei kommt es oft zur Übertragung der Strukturen der eigenen Sprache in die neue Sprache", erklärte Newerkla. Viele tschechische Phrasen oder präpositionale Fügungen seien kopiert worden, weshalb viele heute "auf Urlaub" und nicht "in Urlaub" fahren.
Nach dem Jugoslawien-Krieg sind bosnisch-, kroatisch- und serbischsprachige Menschen nach Österreich gekommen. Dass diese Sprachen nun auch in den Schulen sehr präsent sind, führe zu neuen "Kontakterscheinungen" und Übernahmen. Bei der jüngeren Migration - wie etwa der Flüchtlingskrise 2015 - gebe es noch keinen strukturellen Einfluss auf das Deutsch der Österreicher. "Das wird man erst in ein paar Jahren sehen", so Newerkla. Und auch die Weltsprache Englisch habe sich noch nicht strukturell auf die Sprache der Österreicher ausgewirkt. Oft werden allerdings einzelne Wörter übernommen oder nach dem Muster des Englischen neu kreiert, so Elspaß mit Verweis auf "fesch" und das "Handy".
"Ich geh' Billa"
"Die Leute fragen mich immer: 'Kommt das aus dem Tschechischen?' Das ist eine falsche Vorstellung", wollte Newerkla aufklären. Viele Entwicklungen - vor allem, wenn es um Grammatik gehe - seien nicht neu, sondern werden durch Kontakte mit Sprachen, in denen ähnliche Konstrukte bestehen, gestützt, sagte Elspaß. So etwa beim präpositions- und artikellosen Sprechen - Sätze wie: "Ich geh' Billa." "Manche österreichischen Dialekte haben diese präpositions- oder artikelarmen Strukturen auch", so Elspaß.
Auch Kontakte zwischen Dialekten führen zu Veränderungen der Sprache. Aus der Metropole Wien hat sich, so Elspaß, die Gewohnheit bis in urbane Zentren Westösterreichs verbreitet, aus dem Diphthong "ei" in "heißen" oder "du weißt" einen Monophthong zu machen - die Wörter verwandeln sich also in "haßen" und "du waßt".
"I mecht wissn, obst moagn kemma konst"
Und wo geht es mit den Dialekten hin? "Es gibt Phänomene, bei denen sich überhaupt nichts ändert", sagte Elspaß. "I mecht wissn, obst moagn kemma konst", ist ein Satz, den man in den dialektal bairischen Gebieten Österreichs zu hören bekommt, und der - so die Forscher - auch nicht so schnell verschwinden wird. Das sogenannte "Complementizer Agreement", bei dem Konjunktionen wie "ob" oder Relativwörter wie "wer", die Nebensätze einleiten, eine Verb-Endung erhalten, halte sich in der Sprache stabil. In anderen Bereichen nähere man sich aber der Standardsprache an.
Nicht nur die große Anzahl an Dialekten, auch die Existenz verschiedener Sprachen in Österreich sei etwas Positives. Während der Monarchie sei Österreich ein multilingualer Staat gewesen, sagte Newerkla. Später wurde Österreich in der Verfassung als deutschsprachiger Staat bezeichnet, und auch der Eiserne Vorhang begünstigte einen Rückgang der Mehrsprachigkeit. Diese wurde in Familien - beispielsweise bei Burgenlandkroaten - weniger gelebt. "Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Mehrsprachigkeit etwas Bereicherndes ist", betonten Elspaß und Newerkla.
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