Neue Zielgruppen wie Gamer oder demente Personen ansprechen, immaterielle Dinge à la Software sammeln und bewahren oder Künstliche Intelligenz (KI) als durchaus lustigen Akteur begreifen: Innovative Ansätze, wie Wissenschaftsmuseen im digitalen Zeitalter relevant bleiben können, diskutieren Expertinnen und Experten aus 27 Ländern bei einer Konferenz des International Council of Museums (ICOM) von 2. bis 4. September im Technischen Museum Wien (TMW).
"Egal, wie unterschiedlich die wirtschaftliche Situation von Museen in Wien, New York oder Kathmandu ist, niemand kann sich mehr an den digitalen Medien vorbeischummeln", erklärte Martina Griesser-Stermscheg, Kuratorin der Veranstaltung und bis vor kurzem Leiterin des Forschungsinstituts des TMW, das erstmals Gastgeber des Events ist, im Gespräch mit der APA. Durchgeführt wird die Konferenz vom International Committee for Museums and Collections of Science & Technology (CIMUSET), einer Fachgruppe des ICOM.
Menschen in den eigenen vier Wänden abholen
Im Fokus stehe dabei etwa, wie man Besucher, die das Museum physisch gar nicht betreten, weil sie entweder kein Interesse an den analogen Objekten haben, oder diese für sie nicht erreichbar sind, mit digitalen Angeboten abholt. Als Beispiel nannte die Museologin und Restauratorin demente Personen oder Menschen, die aufgrund des hohen Alters nicht mehr in der Lage sind, ins Museum zu gehen. Hier gebe es Lösungen, die zum Teil während der Pandemie entstanden seien, um einen Besuch auf einer sehr persönlichen Ebene - natürlich mit Unterstützung von Betreuungspersonen oder Familienangehörigen - zu ermöglichen.
"Das kann in der gewohnten Umgebung zu sehr schönen Gesprächen führen, die durch die Objekte, die plötzlich die Vergessenheit vergessen lassen, ausgelöst werden, und die ganz klare Erinnerungen wieder zutage fördern", so Griesser-Stermscheg. Verstärkt angesprochen werden aber auch Zielgruppen wie die Gaming-Community, um sie für Technik und Wissenschaftsmuseen zu interessieren. Sie könnten auch beim Nachdenken helfen, wie man Spiele als Medium zum Lernen im digitalen Raum einsetzen kann, wodurch Menschen vielleicht gar nicht ins Museum kommen müssten. Dabei sollte man mit ihnen auf Augenhöhe kooperieren und teilweise die Gestaltungs- und Entscheidungshoheit abtreten.
Künstliche Intelligenz als "lustiger Akteur"
Die sehr intensive Arbeit an den Inhalten der Angebote sei auch dadurch bedingt, dass kein Museum über die finanziellen Mittel verfüge, um auf technologischer Basis mit den Unternehmen Schritt zu halten. "Immer wenn wir stolz sind, dass wir etwas Neues haben, ist es ein halbes Jahr später schon wieder veraltet. Aber das Budget reicht nicht aus, um hier mitzumischen", so die Expertin. Mit Künstlicher Intelligenz (KI) könnten neue Inhalte sowohl im Online-Bereich, aber auch in Ausstellungen spielerisch erschlossen werden, wenn man KI als neuen, durchaus sehr lustigen Akteur begreife, der auch neue kreative und innovative Ansätze ermögliche.
Ein großes Thema bei der Veranstaltung sei digitales Sammeln. "Da geht es aber nicht um die klassische Massendigitalisierung, also etwa das Anfertigen von Scans, sondern um das Sammeln von Objekten, die ausschließlich digital existieren, wie beispielsweise Software", sagte Griesser-Stermscheg, die in der Erhaltung von immateriellen Kulturgütern eine wichtige neue Aufgabe sieht. Auch Digitales müsse bewahrt werden. So werde man sich bei der Konferenz über Erfahrungen, Strategien und mögliche Synergien - etwa gemeinsame Softwaredepots - austauschen. Es brauche dafür wahrscheinlich auch irgendwann eine national abgestimmte Strategie.
In den vergangenen Jahren habe man am TMW zwei Forschungsprojekte beziehungsweise Case Studies sehr unterschiedlichen Charakters dazu gestartet. Einerseits sei die Betriebssoftware eines Bankomaten, der schon länger Bestandteil der Sammlung ist, ausgelesen worden und in einem zweiten Schritt die Nutzererfahrung untersucht worden. "Da haben wir auch Workshops mit Jugendlichen gemacht, wo wir sie gefragt haben, wie sie den digitalen Infrastrukturen vertrauen, ob sie lieber mit Bargeld zahlen, mit Karte oder mit dem Handy und wie sie sich dabei fühlen", erläuterte die Kuratorin. Der Bankomat "als fast ikonisches Objekt diszipliniert und zwingt einen, sein Geld dem digitalen Raum anzuvertrauen".
Österreichische Spielegeschichte
Beim zweiten Projekt sei es um Spiele gegangen. Einerseits um österreichische Pionierprojekte, die es durchaus schon seit Ende der 1980er-Jahre gebe. "Diese ganz frühen Spiele von kleinen Garagenfirmen, die eben erst zu entwickeln begonnen hatten und dann auch international berühmt wurden, wie zum Beispiel Hannes Seifert mit "Der verlassene Planet", sammeln wir jetzt, um irgendwann eine österreichische Spielegeschichte erzählen zu können", so Griesser-Stermscheg. Im Fokus stünden auch experimentelle Spiele, die sich an der Schnittstelle zwischen Kunst und Technik befinden.
Das laut der Expertin inzwischen postdigitale Zeitalter sei "eine echte Revolution und totale Dimensionserweiterung, etwas das so schnell nicht wiederkommen wird". Es gebe noch unglaublich viele unausgeschöpfte Möglichkeiten, durch die sich die Museen, "wenn die jetzige junge Generation dann endlich am Steuerpult sitzt, auch echt multidimensional erweitern lassen und mit viel mehr Fantasie, Spielraum und Offenheit wirklich neue Formate erfunden werden".
Servide: "CIMUSET Wien 2024", 2. bis 4. September, https://cimusetvienna2024.com/
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