19.8.2024, 10:06 Uhr

Seeanemonen: Dem Geheimnis der Unsterblichkeit auf der Spur

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Nesseltiere wie Seeanemonen können verlorene Körperteile nachwachsen lassen, sich auch asexuell fortpflanzen und besitzen das Potenzial für extreme Langlebigkeit - wobei einige Arten sogar als unsterblich gelten. Wiener Forscherinnen und Forscher haben nun erstmals für eine im Nordatlantik lebende Seeanemone Kandidaten für multipotente Stammzellen identifiziert, die hinter diesen erstaunlichen Fähigkeiten stecken könnten, wie sie im Fachjournal "Science Advances" berichten.

Beim Menschen sind Stammzellen für die laufende Erneuerung verschiedener Zellen und Gewebe verantwortlich, etwa von Blut- oder Hautzellen. Verlieren die Stammzellen diese Fähigkeit oder verringert sich ihre Anzahl im Laufe des Lebens, altert der Körper oder entwickelt Krankheiten.

Die Seeanemone Nematostella vectensis ist höchst regenerativ

Während beim Menschen und den meisten Wirbeltieren die Erneuerungsfähigkeit auf einzelne Zelltypen beschränkt ist, besitzen einige Tiergruppen viel stärkere Regenerationsmechanismen. Der mexikanische Schwanzlurch Axolotl etwa kann verlorene Gliedmaßen und Organe nachwachsen lassen. Auch die Seeanemone Nematostella vectensis ist höchst regenerativ: Sie kann sich durch Knospung asexuell fortpflanzen und zeigt zudem keine Anzeichen des Alterns.

Diese im Freiland nicht größer als drei Zentimeter lang werdende Seeanemone mit üblicherweise 16 um die Mundöffnung stehenden Tentakeln ist in den vergangenen Jahren ein beliebter Modellorganismus in der Biologie geworden. Denn anhand des sehr alten Tierstamms der Seeanemonen - Nesseltiere haben sich als eine der ersten tierischen Linien vor rund 600 Millionen Jahren entwickelt - lässt sich die Entstehung der Komplexität tierischer Baupläne untersuchen.

"Bisher konnten allerdings noch keine Stammzellen in diesen Tieren identifiziert werden", erklärte der Entwicklungsbiologie Ulrich Technau vom Department für Neurowissenschaften und Entwicklungsbiologie der Universität Wien gegenüber der APA. Bei Nesseltieren (Cnidaria) wurden multi- und pluripotente Stammzellen, die fast alle Zelltypen des Körpers ausbilden können, bisher nur bei der Klasse der Hydrozoen nachgewiesen, zu denen der Süßwasserpolyp Hydra zählt.

Bisher unbekannte Zellen entdeckt

Mit verschiedenen Analysemethoden konnte das Wiener Forscherteam nun eine "große Population von Zellen identifizieren, die differenzierte Zellen wie Nervenzellen und Drüsenzellen bilden und damit Kandidaten für multipotente Stammzellen sind", so Erstautor Andreas Denner in einer Aussendung. Diese Zellen seien vermutlich bisher unentdeckt geblieben, weil sie nur etwa drei bis fünf Tausendstel Millimeter klein sind und die Methoden für ihre Entdeckung noch nicht ausgereift genug waren, so Technau.

Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter zeigten zudem, dass in diesen potenziellen Stammzellen zwei Gene ("nanos" und "piwi") aktiv sind. Diese sind nicht nur bei der Seeanemone für die Bildung der Keimzellen notwendig, sondern ermöglichen in allen Tieren, auch beim Menschen, die Entwicklung der Keimzellen (Spermien und Eizellen).

Das Team belegte damit, dass diese Genfunktion vor rund 600 Millionen Jahren entstanden und bis heute konserviert geblieben ist. Während diese evolutionär hochkonservierten Gene beim Menschen meist nur bei der Bildung von Ei- und Samenzellen aktiv sind, könnten sie alten Tierstämmen wie den Nesseltieren eine hohe Regenerationsfähigkeit verleihen.

Service: http://dx.doi.org/10.1126/sciadv.ado0424

APA/red Foto: APA/Smithsonian/Robert Aguilar/CC BY 2.0 Smithsonian Environmental Research Center/ https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Nematostella_vectensis_(I1419)_999_(30695685804).jpg