Sechs Patienten mit Wiener Anti-Covid-19-Peptid behandelt

24. Juni 2020 - 11:41

Das Wiener Biotech-Medikament FX06 - ursprünglich aus der Forschung an der Universitäts-Hautklinik - ist vor kurzem in ersten Heilversuchen an zwei deutschen Universitätskliniken zur Therapie von sechs schwerstkranken Covid-19-Patienten eingesetzt worden. Vier der Kranken überlebten, teilte das Biotech-Unternehmen MChE/F4 Pharma mit. Placebo-kontrollierte Studien sollen folgen.

Substanz mit langer und verschlungener Geschichte
Substanz mit langer und verschlungener Geschichte

"Wir haben bereits bei Ethikkommissionen die Genehmigung für doppelt verblindete klinische Studien beantragt und ein erste Genehmigung erhalten. Die erste Studie soll mit rund 40 Covid-19-Patienten in Österreich und Deutschland erfolgen. Eine zweite Untersuchung mit rund 50 Patienten in einer anderen Dosierung soll in Frankreich durchgeführt werden", sagte Thomas Steiner, Geschäftsführer und Mitbegründer des Biotech-Unternehmens, gegenüber der APA. Die Studien würden an wissenschaftlich renommierten Universitätskliniken bzw. Zentren durchgeführt werden.

Abdichtung von Kapillargefäßen

FX06 ist ein im Jahr 2000 an der Wiener Universitäts-Hautklinik identifiziertes Peptid, ein Bestandteil von Fibrin. Es soll - unter vielen anderen möglichen Anwendungen - im Fall von schwersten Covid-19-Lungenproblemen - "undicht" gewordene Kapillargefäße wieder "abdichten" und die beim akuten Lungenversagten (ARDS) auftretenden Ödeme bekämpfen. Ein stark antientzündlicher Effekt kommt offenbar hinzu. 2014 war die Substanz in Heilversuchen in Deutschland bei Ebola-Patienten verwendet worden.

In den vergangenen Wochen starteten Intensivmediziner von zwei Universitätskliniken in Deutschland individuelle Heilversuche bei sechs schwerstkranken Covid-19-Patienten. "Alle Kranken lagen auf Intensivstationen. Alle wurden künstlich beatmet, fünf von ihnen half nur noch die extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO; Anm.)", sagte Steiner. Dieses Verfahren wird zur Aufrechterhaltung der Sauerstoffversorgung von Patienten verwendet, wenn alle anderen Methoden nicht mehr ausreichen. Dabei wird das Blut aus dem Körper abgeleitet und extern mit Sauerstoff angereichert.

Ergebnisse machen zuversichtlich

Natürlich lassen sich aus einem solchen Heilversuch keine statistischen Daten und vor allem noch kein Wirksamkeitsbefund ableiten. Doch die Ergebnisse stimmen die Beteiligten offenbar positiv. "Innerhalb von wenigen Tagen nach der Behandlung mit FX06 zeigten alle Patienten eine Verbesserung der Lungenfunktion und einen signifikanten Rückgang der Entzündungsmarker. Vier der Schwerstkranken überlebten schließlich", sagte Steiner. Bei den zwei Verstorbenen handelte es sich um Personen mit höchstem Begleitrisiko, bei denen zusätzliche Komplikationen auftraten. Die an dem Projekt Beteiligten glauben daran, dass FX06 einen Beitrag zur Behandlung von Covid-19-Patienten mit schwerstem Krankheitsverlauf leisten könnte. Daten auf ein optimales Dosierungsregime und die Wirksamkeit sollen jetzt die nachfolgenden Studien zeigen.

Die Substanz hat eine lange und verschlungene Geschichte hinter sich. Anfang des Jahres 2000 identifizierte Peter Petzelbauer, Chef der Abteilung für Haut- und Endothelforschung der Wiener Universitäts-Hautklinik (AKH), das Peptid B-beta15-42 aus 28 Aminosäuren - ein Teil des Blutklebstoffs Fibrin - als mögliche Wirksubstanz für eine Reihe von Einsatzgebieten. Petzelbauer gründete mit Partnern das Biotech-Startup-Unternehmen "Fibrex Medical".

Für die Entwicklung entschied man sich zunächst für die Anwendung als zusätzliches Medikament bei Ballondilatationen von durch Blutgerinnsel verlegte Herzkranzgefäße. Dabei tritt durch den schnell wiederhergestellten Blutfluss und die Sauerstoffversorgung eine zum Infarkt noch zusätzlich schädigende Entzündungsreaktion auf. In Tierversuchen konnte man den Infarktschaden durch FX06 hingegen um 50 Prozent reduzieren. In Tierversuchen zeigte sich 2004 weiters, dass man mit dem Peptid FX06 Tiere nach schweren bakteriellen Infektionen zu 88 Prozent vor einer tödlichen Sepsis schützen konnte.

Nach Verträglichkeitsprüfungen (Phase I an gesunden Patienten), die positiv ausfielen, kam es zur erfolgreichen Erprobung bei Infarktpatienten in einer klinischen Studie der Phase II bei mehr als 243 Infarktpatienten in mehreren europäischen Staaten. Die Ergebnisse dazu wurden 2008 bei einem Kardiologenkongress in München präsentiert. Es gab Hinweise auf weniger Herzmuskelschaden bei Anwendung des Mittels im Vergleich zu Placebo.

Renaissance bei Ebola-Patienten

FX06 wurde schließlich an ein US-Biotech-Unternehmen auslizensiert. Unter anderem die Finanzkrise ab 2008 zerstörte aber alle Pläne. Schließlich kamen die Rechte an der Substanz wieder zurück nach Wien. 2014 erlebte die Substanz im Rahmen von individuellen Heilversuchen bei Ebola-Patienten eine Renaissance.

An der Universitätsklinik in Frankfurt/Main, setzte man das Peptid damals bei einem 38-jährigen Arzt aus Uganda ein, der an einer Ebola-Infektion erkrankt und nach Deutschland geflogen worden war. Der Patient zeigte unter der FX06-Therapie eine deutliche Besserung und überlebte, wie in der Medizinfachzeitschrift "Lancet" berichtet wurde. Ein zweiter Patient an einer Klinik in Leipzig starb.

FX06 wird per Infusion über mehrere Tage hinweg angewendet. Die Dosierung betrug bisher 200 oder 400 Milligramm pro Tag. Die an den Covid-19-Heilversuchen in Deutschland beteiligten Wissenschafter bereiten derzeit die Veröffentlichung ihrer Erkenntnisse in einer Medizin-Fachzeitschrift vor.

(APA/red, Foto: APA/APA (dpa))

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