Wer mit viel Frust im Gepäck aus dem Schulsystem kommt oder vom Lernen schon nach acht oder zwölf Jahren die Nase voll hat, der wird wenig Begeisterung für "Lebenslanges Lernen" aufbringen. Warum es dennoch so wichtig sei, nie mit dem Lernen aufzuhören, wurde von Experten im Rahmen eines Science Talks des Bildungsministeriums in Wien diskutiert.
Schon der Untertitel der Veranstaltung, "Erwachsenenbildung - eine Frage von Motivation, Organisation und Finanzierung" barg Diskussionspotenzial, denn Lebenslanges Lernen mit Erwachsenenbildung gleichzusetzen, sei falsch, war sich die Expertenrunde einig. Bereits frühkindliches Lernen habe enorme Auswirkungen auf das Lernen im Alter, sprach sich Rudolf Tippelt, Professor für allgemeine Pädagogik und Bildungsforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München, gegen einen Laissez-faire-Erziehungsstil und für einen autoritativen Erziehungsstil aus, der Kinder früh fordert und fördert. "Wer viel Bildung hat, fragt viel Bildung nach", erklärte er anhand des Matthäus-Effekts, warum dem Elternhaus eine so große Rolle zukommt. Aber auch Bildungseinrichtungen wie Kindergärten und später Volksschulen müssten bei ihren Besuchern früh Interesse wecken und diese motivieren.
"Halbwertszeit" des Wissens
Auch bei der Wahl des späteren Bildungsweges sei es wichtig, den eigenen Interessen und Leidenschaften zu folgen, betonte Nino Tomaschek, Leiter des Postgraduate Centers der Universität Wien. Das sei Karrierestudien zufolge ein größerer Erfolgsgarant als eine "gestreamlinete Karriere". Die große Herausforderung für Schulen sei nicht das Beibringen von Stoff, sondern das Vermitteln, wie man lernt, ist sich Tomaschek sicher. Jeder müsse sich seinen persönlichen Zugang zu Wissen sichern, sprach er von einer Art Zapfsäule, von der man sich lebenslang Wissen abzapfen könne. Denn das Wissen habe mittlerweile eine "Halbwertszeit": "Wenn ich einmal Jus studiert habe, heißt das nicht, dass ich bis ans Ende meiner Tage ein erfolgreicher Jurist bin." Diese Entwertung betreffe aber nicht nur Studien, auch Handwerker stünden heute vor völlig anderen Anforderungen, als sie vor Jahrzehnten in ihrer Ausbildung gelernt hätten, brachte Tomaschek das Beispiel eines Dachdeckers, der sich heutzutage mit der Montage von Solarpaneelen auseinandersetzen muss.
"Die Anforderungen verändern sich massiv, aber das haben sie immer schon - den Fortschritt gab es immer schon", relativierte Thomas Mayr. Das größte Problem bestünde auf der mittleren Qualifikationsebene, bei ebenjenem Dachdecker oder beim Installateur, so der Geschäftsführer des Instituts für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw). Hier hätten Unternehmen den größten Bedarf. Jene Strategie für Lebenslanges Lernen, die 2011 von der damaligen Bundesregierung verabschiedet wurde, müsse von einer neuen Regierung ausgebaut werden. In der neuen Bildungspolitik müsse eine Strategie für Lebenslanges Lernen verankert sein, die nicht nur die Finanzierung, sondern auch die Struktur und die Durchlässigkeit regelt. Informelle Bildungsabschlüsse müssten sichtbarer gemacht werden und auf eine Stufe mit Hochschulinhalten gestellt werden. "Wir müssen uns weiterentwickeln von dem Denken, dass nur ein Kurs Weiterbildung ist", verwies er auf YouTube-Tutorials und andere neue Lerntechnologien.
System und Individuum
Neben Frühförderung, Schul- und Ausbildung sei die Erwachsenenbildung der große Verlierer, ist sich Irene Cennamo vom Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung der Uni Klagenfurt sicher. "Die Weiterbildungsteilnahme bei den 40-, 50-, 60-Jährigen boomt, diese Altersgruppe ist besonders wichtig." Wie die Schulbildung müsse deshalb auch die Erwachsenenbildung gesetzlich verankert werden, damit die Investition in Weiterbildung nicht beim Individuum liegt, wünscht sich die Bildungsforscherin von einer neuen Regierung. Lebenslanges Lernen dürfe nicht zu stark individualisiert werden, da nicht nur das Elternhaus, sondern das ganze System, das um ein Individuum herum existiert, dieses präge und in seiner Befähigung beeinflusse, einen Wunsch nach Bildung überhaupt erst auszuprägen.
Auch im hohen Alter dürfe das Lernen kein Ende haben, denn "bei den Ältesten führt Lebenslanges Lernen dazu, dass sie aktiv im sozialen Gefüge integriert sind und nicht zu einem sozialen Problem werden", betonte Cennamo. Sonst werde aus einem inkludierenden System sehr schnell ein exkludierendes, "wo alle nur mehr jung und stark und schön sein dürfen".
Geeint werden die Experten durch die universelle Forderung nach mehr Geld, mehr Fördermitteln. Es genüge aber nicht, einfach nur Geld hineinzupumpen, man müsse die staatlichen Mittel sinnvoll einsetzen, erklärte Thomas Mayr und verwies auf individuelle Bildungskonten und Prämien für Bildung, wie sie bereits 2011 im Gespräch gewesen waren.
Betriebe müssten für Weiterbildungen belohnt werden, ehrenamtliche Tätigkeiten durch Gelder abgesichert und Hochschulen sowie wissenschaftliche Weiterbildung stärker finanziert werden, so Tippelt: "Das ist eine Mammutaufgabe."
(APA/red, Foto: APA/Christopher Dunker)