5.4.2024, 10:06 Uhr

RNA-Moleküle in Gehirn-Nervenzellen halten ganzes (Mäuse-)Leben

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Als eines unserer komplexesten Organe gibt das Gehirn, bestehend aus grob geschätzten 100 Milliarden Nervenzellen, noch einige Rätsel auf. Bekannt ist, dass sich die Mehrheit der Neuronen nicht erneuert und auch manche ihrer Bestandteile so alt wie der Organismus selbst sind, etwa die DNA im Zellkern. Ein Team um Martin Hetzer vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) stellte nun eine weitere Gruppe von Schlüsselmolekülen mit Hang zur Langlebigkeit vor.

Mit der nun im Fachjournal "Science" präsentierten Studie habe man zum ersten Mal bei Säugetieren, nämlich bei Mäusen, zeigen können, dass die bisher eher als kurzlebig geltende RNA (Ribonukleinsäure) ein ganzes Leben lang bestehen bleiben kann, hieß es in einer Mitteilung der Forschungseinrichtung in Klosterneuburg (NÖ). Es handelt sich dabei um eine spezielle Gruppe von RNAs, genauer nicht-kodierte RNAs, die - wie ebenfalls nachgewiesen werden konnte - zur Regulierung der Genom-Stabilität in den Neuronen im Gehirn von Mäusen dient. Es zeigte sich, dass diese Moleküle ein ganzes Mäuseleben lang und damit etwa 2,5 Jahre lang nicht abgebaut werden.

Perfektes Molekül zur Geninformationsspeicherung

Um DNA funktionstüchtig zu halten, wird sie ständig repariert: "Wir wissen, dass die DNA sehr stabil ist - das wird auch daran deutlich, dass man DNA auch noch aus Dinosaurierknochen isolieren kann. Sie ist ein perfektes Molekül, um langfristig genetische Informationen zu speichern", sagte Molekularbiologe und ISTA-Präsident Hetzer gegenüber der APA. Die RNA sehe ähnlich aus, sei aber sehr reaktiv und instabil an sich. Diese bis dato gängige Idee relativiert nun die Studie: "Wir haben eben im Zellkern sehr langlebige RNAs gefunden."

Kurzlebig und damit einem ständigen Zyklus der Neubildung unterworfen ist die sogenannte Botschafter-RNA (mRNA), die Proteine anhand der DNA formt. Aber die Mehrheit der RNA komme nicht-kodiert vor, so Hetzer, sie trägt "zur Gesamtorganisation der Zelle und Zellfunktion" bei. Warum die nun entdeckten, nicht-kodierten RNAs so langlebig sind oder ob es hier ebenfalls Reparaturmechanismen gibt, sei aber noch vollkommen offen und ein Thema für Folgestudien.

In den Nervenzellen der Mäusehirne war, so zeigten die Untersuchungen, nach einem Jahr die Konzentration der langlebigen RNAs im Vergleich zu Neugeborenen leicht reduziert. Nach zwei Jahren waren sie aber immer noch nachweisbar, "was auf eine lebenslange Existenz dieser Moleküle" hinweist, hieß es. Dabei setzen sich langlebige RNAs in Neuronen "vor allem aus nicht-kodierenden RNAs zusammen", erläuterte Hetzer. Die Forschenden fanden sie vor allem in der Nähe des sogenannten Heterochromatins - also einem Ort von dicht gepacktem Chromatin im Zellkern. In einem Folge-Versuch konnten die Forscher auch die Rolle der langlebigen RNA für die Haltbarkeit von Nervenzellen demonstrieren.

Nun stehe die Frage im Mittelpunkt: Gibt es auch beim Menschen langlebige RNA, die bis zu 100 Jahre stabil ist, oder doch Mechanismen, die für eine Erneuerung der RNA stehen? Ersteres wäre für Hetzer eher unerwartet, doch "wenn wir uns menschliche Nervenzellen in der Zellkultur anschauen, so sieht dies doch sehr ähnlich aus".

Forschung erst am Anfang

Das Interesse an den Alterungsmechanismen des menschlichen Gehirns bzw. der Selbsterhaltung von Nervenzellen ist letztlich auch groß, da man sich darüber auch neue Erkenntnisse über Erkrankungen wie Demenz und Alzheimer erwartet. Oder auch Hinweise, wie man der Alterung von Zellen therapeutisch entgegenwirken kann. Die Forschung stehe noch am Anfang: "Man muss hier einen langen Atem haben. Die meisten Methoden, die uns zur Verfügung stehen, sind darauf ausgerichtet, Prozesse zu studieren, die in Sekunden, Minuten oder Tagen ablaufen."

Veränderungen nachzuvollziehen, die ein ganzes (Mensch-)Leben betreffen, sei herausfordernd. Hetzer ortet aber auch einen intellektuellen Grund: "Das vergangene Jahrhundert war geprägt von dem Verständnis, wie das Leben aus einer befruchteten Eizelle entsteht. Das haben wir sehr gut verstanden - bis hin zur Funktion von Stammzellen und ihrem medizinischen Potenzial für die Zellerneuerung. Aber das Gehirn erneuert sich eben nicht."

Hier spielten andere Mechanismen eine Rolle und diese gelte es, mehr in den Blick zu nehmen - doch hiermit hätten sich bisher "erstaunlich wenig" Forschende beschäftigt. Aber: "Wenn es um die Frage geht, wie wir unseren Körper 100 Jahre erhalten wollen, und nun ja wissen, dass langlebige Zellen im Gehirn, aber auch im Herzen und in der Bauchspeicheldrüse, vorkommen, dann muss es uns in diesem Jahrhundert interessieren, welche Mechanismen hier greifen."

Service: https://dx.doi.org/10.1126/science.adf3481

APA/red Foto: APA/APA/dpa/Franz-Peter Tschauner