23.1.2019, 11:23 Uhr

Politologin: Ethik ist "gemeinsame Aufgabe"

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In Zeiten, in denen mit der "Genschere" leicht ins Erbgut und mit Algorithmen in die öffentliche Meinungsbildung eingegriffen werden kann, wird klar, wie umfassend wissenschaftsethische Fragen heute den Alltag berühren. Angesichts solcher Entwicklungen müsse man "Ethik als gemeinsame Aufgabe sehen", so die Politologin Barbara Prainsack bei einer Diskussion in Wien.

Momentan würden Ethikkommissionen und andere Institutionen den rasanten wissenschaftlich-technologischen Entwicklungen vielfach hinterherlaufen, so Prainsack im Rahmen der Veranstaltung von APA-Science mit dem Titel "Die 'Grand Challenges' der Ethik" in Wien. Wenn sich potenziell derart weit in das Alltagserleben reichende Entwicklungen, wie etwa in den Bereichen Machine Learning, Künstliche Intelligenz (KI) oder Genetik auftun, rufe das Regulatoren auf den Plan, die dann versuchen, das irgendwie einzuhegen. Es herrsche der Zugang: "Es ist etwas passiert, dann brauchen wir jetzt Ethik", so Prainsack, die den "weltweiten Aufschrei" nach der Geburt der vermeintlich ersten genveränderten Menschenbabys in China im November ins Treffen führte.

Politik und Gesellschaft tendierten in der Vergangenheit vielfach dazu, solche Fragen und die Auseinandersetzung mit derartigen "Fundamentaltechnologien" an Expertengremien auszulagern. Das habe einerseits zu einer Professionalisierung des Gebiets geführt, die Diskussionen aber auch aus dem gesellschaftspolitischen Zusammenhang gelöst. Für Prainsack, die an der Universität Wien eine Professur für Vergleichende Politikfeldanalyse innehat und u.a. Mitglied der Österreichischen Bioethikkommission ist, braucht es aber eine "Repolitisierung der Ethik" - allerdings abseits der Parteipolitik.

Breiter Diskurs nötig

Das werde am Beispiel der digitalen Überwachung klar: Anstatt jene Macht, die Konzerne wie Facebook dadurch erlangen, dass sie Daten über Personen sammeln, durch einzelne, stückwerkhafte Regulationen zu begrenzen, brauche es einen breiten Diskurs darüber, "welche Gesellschaft wir wollen" und wie mit den "Daten, die uns gehören" eigentlich umgegangen werden soll. Aktuell laufe der Hase jedoch anders: "Wenn sich Leute darüber freuen, wenn Facebook an Unis Ethikinstitute finanziert, dann stimmt mich das sehr besorgt." Das Unternehmen stellte der Technischen Universität München kürzlich rund sieben Millionen Euro für die Gründung eines solchen Instituts für Ethik in der KI über fünf Jahre hinweg zu Verfügung. Der Konzern solle lieber seine Steuern bezahlen, damit Staaten dann unabhängige Ethikinstitute finanzieren, so Prainsack.

Wenn man heute Daten als das neue Öl ansieht, dann müsse man auch überlegen, was daraus folgt, betonte auch Johann Cas von Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). KI und Machine Learning hätten zweifelsohne viel Potenzial, es sei aber ein Unterschied, ob Wissenschafter mit den Methoden in den Datenbergen aus dem Teilchenbeschleuniger CERN nach Erkenntnissen suchen oder Unternehmen damit auf die Durchleuchtung von Menschen abzielen. Cas bemängelte eine adäquate "politische Reaktion" auf solch zentrale Entwicklungen, bei denen auch darauf geachtet werden müsse, dass Menschenrechte nicht umgangen werden.

Nicht gut bestellt um die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen sei es auch in den Wirtschaftswissenschaften, so Michael Litschka vom Department Medien und Wirtschaft an der Fachhochschule (FH) St. Pölten. Hier werde vielfach "keine Relevanz" für Ethik gesehen, dementsprechend gebe es auch kaum Lehrstühle. Auch Litschka führte ins Treffen, dass im Informations- und Medienbereich derzeit das Plattform-Denken stark dominiere. Viele Akteure würden sich nur als Technologie-Unternehmen wahrnehmen, wo der "Content" vielfach von den Usern kommt. "Gegen Problematiken, etwa dass demokratische Wahlen mit größter Wahrscheinlichkeit durch Möglichkeiten, die Social Media bietet, verzerrt wurden, haben die Unternehmen dahinter nichts getan", sagte Litschka, der hier "eine große Lücke" sieht.

Strenge Richtlinien im lebenswissenschaftlichen Bereich

Weit engmaschiger ist das Netz dagegen im lebenswissenschaftlichen Bereich. Ethische Richtlinien seien hier in den vergangenen 25 Jahren "immer strenger geworden", so der stellvertretende Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Krebsforschung, Lukas Kenner. Das sei positiv, auch wenn der organisatorische Aufwand mitunter groß ist. Ein Fall, wie jener der durch den chinesischen Wissenschafter He Jiankui gentechnisch veränderten Babys, sei in Österreich jedenfalls "nicht möglich", so der Forscher, der auch Mitglied der Bioethikkommission ist.

Dass man sich künftig auf eine Art allgemein anerkannte Ethik-Charta einigen wird können, beurteilten die Experten zweischneidig: Auch die Reaktion auf den "Tabubruch" in China zeige, dass die Haltungen in wissenschaftlichen Kreisen und in der Bevölkerung in der Regel nicht weit auseinanderliegen. Die politische Großwetterlage mache eine große internationale Einigung aktuell aber sehr unwahrscheinlich, so der Tenor.

Service: Bilder der Veranstaltung unter: https://www.apa-fotoservice.at/galerie/16536

APA/red Foto: APA/APA (Tesarek)