27.8.2024, 10:26 Uhr

Paradox: Frischwasser in Alpenflüssen stammt kaum aus frischem Regen

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Wie viel Zeit seit dem Abregnen von Wasser vergeht, bis es in den Alpenflüssen abfließt, hat ein österreichisch-schweizerisches Forschungsteam im Fachblatt "Hydrology and Earth System Sciences" analysiert. Über die 32 untersuchten Gebiete hinweg, liegt der Anteil von Wasser, das älter als einen Monat ist, demnach bei rund 93 Prozent, heißt es seitens der Universität für Bodenkultur (Boku). Dieses "Alte Wasser-Paradoxon" zeige einmal mehr, wie wichtig natürliche Speicher sind.

Wie "alt" Wasser ist, lässt sich mit modernen wissenschaftlichen Methoden über die Messung der Zusammensetzung der stabilen Isotope darin abschätzen. Für seine Studie hat das Team um Marius Floriancic von der ETH Zürich und Christine Stumpp von der Boku auf über mehrere Jahre bzw. Jahrzehnte lang durchgeführte Isotopenanalysen von Regen- und abfließendem Wasser zurückgegriffen. Im Fokus standen insgesamt 32 Einzugsgebiete im Alpenraum. Aus Österreich wurden Isotopen-Langzeitdaten von der Donau (Hainburg, Engelhartszell und Wien-Nußdorf), der Drau (Neubrücke), der Leitha bei Brodersdorf, der March bei Angern, vom Inn (Schärding und Kirchbichl), von der Salzach bei Salzburg, von der Mur bei Spielfeld sowie vom Ill bei Gisingen und vom Rhein bei Lustenau einbezogen, schreiben die Wissenschafter in ihrer Arbeit.

Erstaunlich kleiner Anteil an Neuwasser im Abfluss

Sie unterschieden in der Analyse zwischen "neuem Wasser" mit einem Alter von weniger als einem Monat und "jungem Wasser" mit einem Alter von rund zwei bis drei Monaten. Dabei offenbarte sich ein erstaunlich kleiner Anteil an Neuwasser im Abfluss: Dieser lag zwischen lediglich 3,5 und 9,6 Prozent, wobei die Werte in Gebieten, in denen der Schneefall eine größere Rolle spielt, niedriger waren. Die Anteile an Jungwasser waren rund doppelt so groß und lagen zwischen 10,1 und 17,6 Prozent. Bei Durchschnittswerten von rund 14 Prozent bei jungem- und sieben Prozent bei neuem Wasser kommt man auf einen "Altwasser-Anteil" von knapp vier Fünftel.

Wie hoch dieser in den für Europas Wasserhaushalt so wichtigen Alpen und deren Flusseinzugsgebieten - auch die Donau gilt als Gebirgsfluss - tatsächlich ist, könne man mit der neuen Analyse erstmals genauer abschätzen. So zeigte sich etwa auch, dass tendenziell in höher liegenden, steilen und von großen Höhendifferenzen geprägten Gebieten, die über ein großes Wasser-Speichervolumen verfügen, mehr altes Wasser zu finden ist. Wenig überraschend: Im Jahreszeitenverlauf ist der Neu- und Jungwasser-Anteil vor allem im Winter und Trockenperioden besonders hoch.

Mehr als 70 Prozent des kühlen Nasses älter als einen Monat

Auch wenn in insgesamt feuchteren Zeiten mehr Wasser von erst kürzlich gefallenem Regen stammt, ist selbst dann noch deutlich mehr als 70 Prozent des kühlen Nasses älter als einen Monat, heißt es seitens der Forscherinnen und Forscher: "Das bedeutet, dass auch im Hochwasserfall nur ein geringer Teil des Abflusses aus kürzlich gefallenem Niederschlag besteht." Vielmehr wird älteres, länger nahe an den Flussläufen gespeichertes Wasser durch den nachkommenden Niederschlag oder Schmelzwasser verdrängt und freigesetzt. Dass dem so ist, ist in der Wissenschaft unter dem Ausdruck "Alte Wasser-Paradoxon" bereits bekannt, nun könne man das Phänomen aber erstmals für die großen Flüsse in Österreich und der Schweiz genauer abschätzen.

So habe man darstellen können, "dass ein Großteil des Wassers in den Flüssen alpiner Regionen aus unterirdischem Wasser stammt; also aus Wasser, das in Böden und im Grundwasser gespeichert war. Diese Kenntnisse zu Herkunft und Alter des Wassers sind entscheidend, um das Gefährdungspotenzial von Wasserressourcen abzuschätzen zu können", wird Stumpp zitiert. Das illustriere auch wieder, dass der Boden und die Grundwasserspeicher der wichtigste Faktor zum Abfedern von Hochwässern sind.

Diese wichtige Funktion wird allerdings durch die fortschreitende Bodenversiegelung in unseren Breiten immer stärker reduziert, wie Interessensvertreter und Wissenschafter in den vergangenen Jahre mehrfach betont haben. "Ein Verständnis der Dynamiken von neuem Wasser ist entscheidend, um vorherzusagen, wie sich die Wasserverfügbarkeit und Wasserqualität unter verschiedenen Klimaszenarien und Landnutzungen ändern könnte", so der Studie-Erstautor Floriancic.

Service: https://doi.org/10.5194/hess-28-3675-2024

APA/red Foto: APA/APA/BARBARA GINDL/BARBARA GINDL