Pandemie ließ laut Studie Medikamenten-Einnahme in die Höhe schnellen

17. Juni 2022 - 11:59

Aufgrund der starken psychischen Belastung während der Corona-Pandemie sind laut einer Studie im Auftrag des Anton Proksch Instituts die Medikamenten-Einnahmen in Österreich in die Höhe geschnellt. Jede bzw. jeder Dritte gab eine psychische Beeinträchtigung durch die Epidemie an. Vor allem bereits belastete Menschen haben vermehrt zu Schmerz-, Beruhigungs-, Schlaf- und Aufputschmittel gegriffen. Besonders tragisch: Vor allem die Jungen nahmen wiederholt diese Substanzen.

Psychische Probleme und Medikation gehen oft Hand in Hand
Psychische Probleme und Medikation gehen oft Hand in Hand

Beinahe ein Drittel der Befragten (26 Prozent) fühlte sich laut dieser Umfrage psychisch belastet. 19 Prozent gaben an, körperlich belastet zu sein. Die wirtschaftliche bzw. finanzielle Belastung (22 Prozent) befand sich ebenfalls auf hohem Niveau. Generell gaben Frauen eine höhere psychische Belastung an als Männer, wie die vom Institut für Sozialästhetik und psychische Gesundheit der Sigmund Freud Privatuniversität Wien mit dem Titel "Doping im Alltag" durchgeführte Studie zeigt. Die Experten wollten den Einfluss der durch die Pandemie hervorgerufenen psychischen Belastungsfaktoren auf den Medikamentenkonsum beleuchten.

Zusammenhang mit psychischer Belastung

"Betrachtet man jene Personengruppe, die angegeben hat, sich durch die Covid-19-Pandemie psychisch belastet zu fühlen, so zeigt sich eine signifikant stärkere Zunahme des Schmerzmittelgebrauchs. Psychisch Belastete nehmen etwa doppelt so häufig Schmerzmittel ein als jene, die sich selbst nicht als psychisch belastet erleben", sagte Wolfgang Preinsperger, Ärztlicher Direktor am Anton Proksch Institut. "Ein ähnliches Ergebnis zeigt sich bei Beruhigungs- bzw. Schlafmitteln. Aufputschmittel werden von psychisch Belasteten sogar etwa drei bis vier Mal häufiger eingenommen als von Unbelasteten."

Die Studie zeigte außerdem: Neben der eigentlichen Wirkung der jeweiligen Substanzklasse spielen indirekte Wirkungen als Einnahmemotiv eine große Rolle. So werden beispielsweise Schmerzmittel auch zur Selbstbehandlung depressiver Symptome eingesetzt.

Aufputschende Substanzen werden seit Beginn der Pandemie von vier Prozent der Befragten eingenommen. Bei 38 Prozent der Aufputschmittel einnehmenden Personen kam es zu einer Zunahme, bei 24 Prozent zu einer Abnahme des Konsums. Die Einnahme aufputschender Substanzen kommt bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 30 Jahre nahezu doppelt so häufig vor wie bei älteren Personen (neun Prozent).

16 Prozent der Befragten gaben an, während der Pandemie mindestens einmal Benzodiazepine, also Medikamente, die als Schlaf- oder Beruhigungsmittel eingesetzt werden, eingenommen zu haben. Hier ist ein deutliches Plus des Konsums zu verzeichnen: Bei 48 Prozent von Personen, die Beruhigungsmittel einnehmen, kam es zu einer Zunahme, nur bei sieben Prozent dagegen zu einer Abnahme. Am häufigsten ist die Einnahme unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 30 Jahre.

Benzodiazepine bei häufig wechselnden Arbeitszeiten

Besonders auffällig ist, dass Personen mit häufig wechselnden Arbeitszeiten fast doppelt so häufig angaben, Benzodiazepine einzunehmen, als jene mit regelmäßigen (65 Prozent gegenüber 38 Prozent). Es sei davon auszugehen, dass in diesen Fällen Schlafstörungen mit Benzodiazepinen "behandelt" werden, so die Experten. Der kurzfristigen Linderung der Schlafprobleme stünden hier jedoch langfristig negative Auswirkungen wie Schlafstörungen und Abhängigkeitsentwicklung gegenüber.

Knapp die Hälfte (45 Prozent) der Befragten gab an, mindestens einmal seit Pandemiebeginn Schmerzmittel eingenommen zu haben. Während der Pandemie scheint sich das Konsumverhalten zwar nicht verändert zu haben, allerdings zeigt sich, dass jüngere Personen deutlich häufiger eine Schmerzmitteleinnahme angeben als ältere.

Knapp ein Drittel der Schmerzmittelkonsumentinnen und -konsumenten nimmt diese mehrmals die Woche ein, Migrantinnen und Migranten der ersten Generation allerdings etwa doppelt so häufig, wie Personen ohne Migrationshintergrund bzw. in Österreich geborene Migrantinnen und Migranten der zweiten Generation. Elf Prozent der Österreicherinnen und Österreicher nehmen mehr Schmerzmittel ein, als ärztlich verordnet. Bei Migrantinnen und Migranten der ersten Generation steigt dieser Wert auf 33 Prozent.

Alltagsdoping nimmt zu

Aber auch sogenanntes Alltagsdoping, was den obligatorischen Morgenkaffee, die Zigarette vor der Arbeit, den Espresso in der Nachmittagspause oder auch das Gläschen Wein abends zum Entspannen auf der Couch umfasst, hat zugenommen. Nahezu jede Österreicherin bzw. jeder Österreicher konsumiert koffeinhaltige Getränke und Lebensmittel. 2019 haben drei Viertel der erwachsenen Bevölkerung zumindest einmal Alkohol zu sich genommen. Knapp die Hälfte der Befragten nimmt Nahrungsergänzungsmittel ein. Ein Viertel der Österreicherinnen und Österreicher raucht zumindest gelegentlich.

Geschätzte 150.000 Österreicherinnen und Österreicher sind arzneimittelabhängig. Aufgrund der vermutlich sehr hohen Dunkelziffer liegt die tatsächliche Zahl aber wesentlich höher, Schätzungen gehen von bis zu 300.000 Personen aus. "Eine genaue Angabe ist deshalb schwer möglich, da die Medikamentenabhängigkeit, wie keine andere Suchterkrankung, im Verborgenen stattfindet und die Betroffenen sehr lange sozial unauffällig bleiben", so Preinsperger.

Während die wissenschaftliche Literatur zu Alkohol- oder Drogenabhängigkeit sehr umfangreich sei, lagen zur Medikamentenabhängigkeit bisher kaum Forschungsergebnisse vor - eine Datenlücke, zu deren Schließung die vorliegende Studie beitragen soll. Im ersten Teil der Studie erfolgte die Befragung der Stichprobe von 1.000 Personen telefonisch durch Gallup Österreich. In einer Zusatzerhebung im Oktober 2021 wurden dann per Onlinebefragung speziell die pandemiebedingten Konsum- und Alltagsdopingtrends beleuchtet.

(APA/red, Foto: APA)

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