Omikron - WHO-Europa-Notfallskoordinator: Mutation nicht aufzuhalten

1. Dezember 2021 - 5:05

Der künftige WHO-Notfallskoordinator für Europa, Gerald Rockenschaub, geht nicht davon aus, dass sich der Kontinent nachhaltig vor der Omikron-Variante schützen kann. "Es wird sich nicht zu 100 Prozent aufhalten lassen", sagte steirische Gesundheitsexperte im APA-Interview. Die weitere Ausbreitung hänge von der Wirkung der Quarantänemaßnahmen ab. Die drakonischen Reisebeschränkungen könnten es erschweren, rasch neuen Mutationen auf die Spur zu kommen, befürchtet Rockenschaub.

Steirer Rockenschaub koordiniert ab Februar die WHO-Nothilfe in Europa
Steirer Rockenschaub koordiniert ab Februar die WHO-Nothilfe in Europa

Es gebe "ungewünschte Effekte" von Reisebeschränkungen, die "sehr massiv sein können", sagte Rockenschaub, der sein Amt im Europa-Hauptquartier der Weltgesundheitsorganisation in Kopenhagen am 1. Februar antritt. Die Möglichkeit zur frühzeitigen Identifizierung von neuen Variationen könnte nämlich künftig "eingeschränkt" sein, weil sich betroffene Länder eine schnelle Bekanntgabe "überlegen" würden, um Reisebeschränkungen zu entgehen.

Omikron bereits im Nahen Osten angekommen

Der aktuell im WHO-Büro Albanien tätige Experte wird künftig für eine bis nach Zentralasien und in den Nahen Osten reichende Region verantwortlich sein. Die Omikron-Variante sieht er bereits in seinem Zuständigkeitsbereich angekommen. Sie sei nämlich "in vielen Ländern der Region nachgewiesen, und laufend werden es mehr", sagte er.

Rockenschaub plädierte dafür, die wissenschaftlichen Untersuchungen der neuen Variante abzuwarten. Es sei nämlich noch zu früh für eine Bewertung von Omikron. "Wir sollten Ruhe bewahren und die Wissenschaft arbeiten lassen. Es gibt Grund aufmerksam zu sein, aber keinen Grund, in Panik zu verfallen", betonte der WHO-Experte.

Europa ist erneut Epizentrum

"Europa ist leider Gottes wieder zu einem Epizentrum der Pandemie geworden, und einige Mitgliedsländer sind ganz vorne, darunter auch Österreich", beklagte der Experte. Auf die Frage nach dem richtigen Rezept in der Pandemiebekämpfung verwies Rockenschaub darauf, dass man alle "Stabilisatoren" mobilisieren müsse statt sich nur auf einzelne Maßnahmen zu konzentrieren. Also nicht nur auf Impfung und Testen, sondern auch das konsequente Tragen von Gesichtsmasken oder auch die Belüftung von Innenräumen, die bisher "etwas vernachlässigt" worden sei. Schließlich müsse man auch "die Behandlungsmethoden besser ausschöpfen".

"Es ist sehr schade, das mitansehen zu müssen", sagte Rockenschaub angesichts der extrem herausfordernden Situation in den österreichischen Gesundheitseinrichtungen. Man habe "unter dem Druck der Bevölkerung alle Vorsichtsmaßnahmen gleichzeitig reduziert und das hat zur aktuellen Situation beigetragen", sagte er. Die Leidtragenden dieser Entwicklung seien neben den Erkrankten die Beschäftigten im Gesundheitssystem. Auf die Frage nach dem Lockdown sagte Rockenschaub, dass Maßnahmen zur Kontaktreduktion in der aktuellen Situation "positiv" und "sicherlich der richtige Schritt" gewesen seien. "Es hat auch der Gesundheitsminister aktiv dafür plädiert", sagte er unter Verweis auf Wolfgang Mückstein (Grüne). Zur Impfpflicht äußerte sich Rockenschaub zurückhaltend. Wichtig sei eine "breite gesellschaftliche Debatte", und generell sollte die Impfpflicht "nur nach Ausschöpfen aller anderen Maßnahmen erwogen werden", nannte er etwa den niederschwelligen Zugang oder Kommunikationskampagnen.

Blick auf den Pandemievertrag

Rockenschaub wird als WHO-Europa-Direktor für medizinische Notlagen insbesondere Hilfseinsätze koordinieren, etwa auch die Verteilung von Impfstoffen und Testkits an Länder, deren Gesundheitssysteme grundlegende Hilfe benötigen. Doch auch Länder wie Österreich können von der WHO-Hilfe profitieren, da die Organisation gemeinsam mit Anthropologen an konkreten Strategien arbeitet, wie Impfskeptiker besser angesprochen und überzeugt werden können.

Grundsätzlich sei die WHO nur so stark wie die Befugnisse und Mittel, die sie von den Mitgliedsstaaten erhalte, betonte Rockenschaub. "Man könnte mehr machen, wenn man mehr Mittel hätte", beklagte er den hohen Anteil rein projektbezogener Mittel. Damit die WHO vorausschauender agieren könne, brauche es etwa auch ein "legal bindendes Instrument", sagte er mit Blick auf den geplanten Pandemievertrag, dessen Ausarbeitung diese Woche in Genf begonnen hat. Die Herausforderungen für die WHO würden nämlich im Vergleich zu den Mitteln "disproportional steigen".

In der Diskussion um Impfstoffe sieht Rockenschaub kein "Entweder-Oder" zwischen Impfstoffspenden und Booster-Impfungen, sondern ein "Sowohl-als-auch". Allerdings brauche es "eine richtige Prioritätensetzung". "Man muss alles tun, zuerst die zu impfen, die noch keine Impfung bekommen haben", sagte er mit Blick auf Weltregionen mit geringen Durchimpfungsraten. "Je mehr das Virus die Möglichkeit hat zu zirkulieren, desto mehr Möglichkeit hat es zu mutieren."

Diesbezüglich rief Rockenschaub Spenderländer auf, Dosen mit längerem Verfallsdatum zur Verfügung zu stellen, um zu verhindern, dass Impfungen - wie etwa jüngst in Bosnien-Herzegowina geschehen - weggeworfen werden müssen. "Jede verfallene Impfdose ist eine Katastrophe", sagte der WHO-Nothelfer, der lange Jahre auch in den Palästinsergebieten und jüngst an der polnisch-belarussischen Grenze tätig gewesen war.

(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)

(APA/red, Foto: APA/APA/AFP/SAID KHATIB)

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