Menschen und andere Tiere vermeiden Inzucht nicht grundsätzlich

3. Mai 2021 - 17:05

Es gibt wohl keinen Mechanismus, der Inzucht bei Menschen und anderen Tieren grundsätzlich verhindert, zeigt ein Forscherteam mit österreichischer Beteiligung im Fachjournal "Nature Ecology and Evolution". Jahrzehnte lang interpretierten Wissenschafter ihre Ergebnisse offensichtlich nach gängiger Moral und erklärten Inzucht-Vermeidung für unabdingbar. Die Daten der Forscher zeigen nun aber in Summe, dass Inzucht-Vermeidung kein generelles Phänomen im Tierreich ist.

Bei Elefanten hat man aber schon Hinweise darauf gefunden
Bei Elefanten hat man aber schon Hinweise darauf gefunden

Ein Team um John Fitzpatrick am Department für Zoologie der Universität Stockholm (Schweden) prüfte die Daten von 139 Studien über Inzucht-Vermeidung aus vier Jahrzehnten Verhaltensforschung in einer Metastudie. Die Forscher, zu denen auch der österreichische Biologe Alexander Kotrschal gehörte, wollten wissen, ob dieses Phänomen tatsächlich so weitverbreitet ist, wie ihre Kollegen es in zahlreichen Fachartikeln und Lehrbüchern postulieren. Die theoretischen Modelle besagen nämlich gegenteiliges: Dass Menschen und andere Tiere es nicht so eng sehen würden, und ihre Partner-Entscheidungen recht unabhängig vom Verwandtschaftsstatus treffen.

Die Forscher fanden wenig Hinweise für Inzucht-Vermeidung als generelles Phänomen, aber teils verfängliche Trends in den Studien. So gab es zum Beispiel einige Veröffentlichungen mit schwacher statistischer Aussagekraft, die für eine Inzucht-Vermeidung plädierten, aber kaum aussageschwache, die dagegen sprachen. Während demnach selbst kränkelnde Hinweise auf Inzucht-Vermeidung publiziert wurden, getraute man sich dasselbe nicht, wenn die Daten eher für freie Liebe unter nah verwandten Artgenossen sprachen.

Daten stützen die Lehrmeinung nicht

Inzucht-Vermeidung ist demnach nicht die weitverbreitete Norm, wie es generell angenommen wird, erklärte Kotrschal, der die Studie an der Universität Stockholm mit durchführte, und nun an der Wageningen Universität in den Niederlanden forscht, der APA: "Unsere Daten stützen diese Lehrmeinung nicht." Das heiße nicht, dass es sie gar nicht gibt. Bei Elefanten und einigen Fischarten hat man Inzucht-Vermeidung freilich gefunden. Trotzdem sei hier wohl das letzte Wort noch nicht gesprochen: Generell gebe es oft Studien über die gleiche Art, von denen manche sie finden und manche sie nicht finden, so der Biologe.

Wo Inzucht-Vermeidung tatsächlich eine Rolle spielt, ist sie wohl umso stärker, je näher die Individuen miteinander verwandt sind. Einer der wichtigen Faktoren, der Inzucht-Vermeidung fördern kann, ist, wenn die Geschwister zusammen aufwachsen und einander gut kennen, berichten die Forscher. In manchen Fällen kann Inzucht sogar Vorteile bringen, so Kotrschal: Bei kleinen, schwarzen Vögeln, die nur auf den neuseeländischen Chatham-Inseln vorkommen (Chathamschnäpper), sind die sehr kleinen Populationen genetisch so stark an die Gegebenheiten auf den Inseln angepasst, dass die Nachkommen einen Nachteil haben, wenn man weniger verwandte Tiere einkreuzt.

Keine Präferenz für "nicht verwandte" Gesichter

"Wie bei anderen Tieren gibt es übrigens auch bei Menschen keinen Beleg, dass sie Inzucht vermeiden", so Fitzpatrick in einer Aussendung. Zeigte man Versuchspersonen digital manipulierte Porträts, auf denen potenzielle Partner entweder mehr oder weniger verwandt mit ihnen aussahen, zeigten sie keine Präferenz für "nicht verwandte" im Vergleich zu "verwandten" Gesichtern.

Das Ergebnis der Metastudie ist etwa für den Tierschutz wichtig. Bei Programmen in Zoos oder der freien Wildbahn, wo man die genetische Vielfalt von Arten erhalten oder steigern will, wird es oft den Tieren selbst überlassen, einen Partner auszuwählen. Man nimmt nämlich aufgrund der allgemein verbreiteten und viel gelehrten Inzucht-Vermeidungs-Hypothese an, dass sie sich automatisch den am wenigsten verwandten Paarungskandidaten schnappen. Hier sollte man ein wenig Vorsicht walten lassen, so die Forscher.

Service: https://doi.org/10.1038/s41559-021-01453-9

(APA/red, Foto: APA/APA/dpa)

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