Menschen ließen Räuber-Beute-Beziehungen in Nordadria zusammenbrechen

25. September 2024 - 9:26

Manche Schnecken leben räuberisch und durchbohren die Schalen von Weichtieren wie Muscheln, um an ihr Fleisch zu kommen. Anhand solcher Bohrlöcher konnten Wiener Paläontologen Beziehungen zwischen Raubschnecken und ihrer Beute in der Nordadria über Jahrtausende nachvollziehen. Nun zeigen sie, dass menschliche Einflüsse wie die Fischerei zum massiven Rückgang der Raubschnecken führten, die Beutetier-Gemeinschaft veränderten und die Räuber-Beute-Beziehung damit zusammenbrach.

Bohrlöcher von Raubschnecken in Muschelschalen geben Aufschluss
Bohrlöcher von Raubschnecken in Muschelschalen geben Aufschluss

Fressen und gefressen werden sind zentrale Vorgänge in Ökosystemen. Das gilt auch für in der Adria lebende Raubschnecken wie verschiedene Mond- oder Stachelschnecken-Arten, die mit ihrer Zunge (Radula) und unterstützt von abgesonderten chemischen Substanzen die Schalen von etwa Venus- oder Herzmuscheln durchbohren und dann ihre Beute verzehren.

Gestört werden können solche Räuber-Beute-Beziehungen durch menschliche Einflüsse. In marinen Ökosystemen passiert das etwa durch die globale Erwärmung, die Versauerung des Wassers, den Überschuss an Nährstoffen infolge von Düngemitteln und Abwässern oder die Einschleppung fremder Arten. Auch die Fischerei, speziell jene mit Schleppnetzen, kann schwerwiegende Folgen haben. Wird die Beziehung von Räubern und ihrer Beute gestört, kann das die Nahrungsnetze negativ beeinflussen.

Wenig Spuren an Überresten von Fischen

"Bei Fischen kann man diese Räuber-Beute-Interaktion und die Folgen menschlicher Eingriffe gut beobachten, allerdings weiß man wenig über die längerfristige Entwicklung dieser Beziehungen, weil an den eher spärlichen Überresten von Fischen in den Sedimenten nur wenige Raubspuren erhalten sind", sagte der Leiter des Instituts für Paläontologie der Universität Wien, Martin Zuschin, zur APA. Muschelschalen mit Bohrlöchern seien zwar nicht so spektakulär anzuschauen, ihre Reste im Sediment würden aber mit großer Sicherheit die Räuber-Beute-Beziehung über Millionen Jahre Erdgeschichte überliefern.

Das internationale Forscherteam unter Wiener Leitung hat in der aktuellen, im Fachjournal "Proceedings B" der Royal Society erschienenen Studie in den Sedimenten der nördlichen Adria untersucht, wie viele Muschelschalen die charakteristischen Bohrlöcher von Raubschnecken aufweisen. Sie entnahmen dafür Bohrkerne aus der Adria beim Po-Delta sowie der Mündung des Isonzo, datierten die darin vorhandenen Schalen von Weichtieren und zählten die Häufigkeit der Raubschnecken-Bohrlöcher. "Im Po-Delta gibt es sehr hohe Sedimentationsraten von mehreren Zentimetern pro Jahr, weshalb unsere Bohrkerne dort nur etwas mehr als 100 Jahre abdecken, diese aber dafür sehr detailliert", erklärte Zuschin.

In einer früheren Studie haben die Forscherinnen und Forscher bereits gezeigt, dass mit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 11.000 Jahren, das den Beginn des Holozäns markiert, die Zahl der Räuber-Beute-Interaktionen in der nördlichen Adria zunächst zugenommen hat. Zu dieser Zeit stieg der Meeresspiegel und in größeren Wassertiefen standen mehr Nährstoffe zur Verfügung, was die Raubschnecken fleißig bohren ließ.

Raubschnecken massiv unter Druck

In der aktuellen Studie wiesen sie nach, dass sich ab Mitte des 20. Jahrhunderts die Räuber-Beute-Beziehungen aufgrund menschlicher Aktivitäten stark veränderten. Das zeigte sich am deutlichen Rückgang der räuberischen Bohrspuren an Muscheln und Schnecken im Sediment. "Die Raubschnecken waren seit dieser Zeit massiv unter Druck, was primär auf die Schleppnetzfischerei und die starke Eutrophierung (Anreicherung von Nährstoffen, Anm.) mit den damit einhergehenden Sauerstoffkrisen am Meeresboden zurückzuführen ist", so Zuschin.

"Darüber hinaus können wir zeigen, dass sich die starke Vereinfachung des Nahrungsnetzes, die in der Nordadria im späten 19. Jahrhundert einsetzte, seit Mitte des 20. Jahrhunderts weiter beschleunigt hat - es kam unter den wirbellosen Tieren zu einem regelrechten Zusammenbruch der Räuber-Beute-Beziehungen", so Zuschins Instituts-Kollege und Mitautor Rafal Nawrot in einer Aussendung. Besonders die Schleppnetzfischerei schädige die Meeresbodenfauna. Zudem erhöhe die Erwärmung der Meere den Druck auf die Nahrungsnetze der marinen Ökosysteme.

Service: https://doi.org/10.1098/rspb.2024.1303

(APA/red, Foto: APA/Bettina Bachmann)

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