Die Mehrzahl der modernen Pferderassen weltweit stammt von Hengsten orientalischer Herkunft ab. Das zeigt eine im Fachblatt "PNAS" veröffentlichte internationale Studie, die von Wiener Forscherinnen und Forschern geleitet wurde. Sie rekonstruierten die väterliche Abstammung von mehr als 1.500 Hengsten von 189 Pferderassen anhand des Y-Chromosoms und fanden zwei grundlegende historische Wege, über die sich die orientalischen Hengste im letzten Jahrtausend verbreitet haben.
Bei den meisten Säugetierarten besitzen nur die Männchen ein Y-Chromosom. Dieses eignet sich daher gut, um Herkunft und Verbreitung einflussreicher Zuchttiere zu untersuchen. Barbara Wallner vom Zentrum für Biologische Wissenschaften der Veterinärmedizinischen Universität Wien hat in den vergangenen Jahren das männliche Geschlechtschromosom genutzt, um die Abstammungsgeschichte der modernen europäischen Pferdepopulation zu rekonstruieren.
Mensch veränderte Pferderassen immer wieder
"Wir wissen ganz gut, wie die Domestikation des Pferdes ausgehend von der Bronzezeit vor rund 4.000 Jahren vonstatten gegangen ist. Komplex wird es in den letzten 1.000 Jahren, in denen die geopolitische Landschaft Europas und des Rests der Welt tiefgreifenden Veränderungen unterworfen war - mit entsprechenden Auswirkungen auf die Pferderassen", erklärte Wallner gegenüber der APA. In dieser Zeitspanne hat der Mensch Pferderassen immer wieder nach seinen Bedürfnissen verändert. Dabei spielten streng ausgesuchte Zuchthengste eine wichtige Rolle.
Das Y-Chromosom ist für die Forscherin ein "einfacher Marker", der die männliche Seite der Populationsgeschichte der Pferde widerspiegelt. Anhand dessen lassen sich nun historische Wanderungsbewegungen und die Geschichte der auf Hengste ausgerichteten Zuchtziele nachverfolgen.
Enormer Einfluss von Hengsten orientalischer Herkunft
Bei der Rekonstruktion der väterlichen Abstammungslinien einer großen Zahl moderner Pferderassen zeigte sich, dass die Mehrzahl der Hengste weltweit Y-Chromosomen besitzen, die einer nur rund 1.500 Jahre alten Gruppe - der sogenannten "Krongruppe" ("Crown-Haplogroup") - zugeordnet werden. Die Dominanz der "Krongruppe" in modernen Pferderassen "ist die Folge des enormen Einflusses von Hengsten orientalischer Herkunft", so Lara Radovic aus dem Team Wallners in einer Aussendung.
Einer der beiden vom Forschungsteam identifizierten mittelalterlichen Ausbreitungswege des Orientalischen Pferdes führte über die Iberische Halbinsel. Diese war laut Wallner ein Schmelztiegel, wo durch eine Mischung lokaler und maurischer Pferde "das zu dieser Zeit hochgeschätzte Iberische Pferd" entstand, das von den verschiedenen Kaiserhöfen gezielt nach Europa geholt wurde, aber auch nach Amerika kam. Aus diesem Pool heraus seien sehr viele moderne Pferderassen entstanden. Auch die später entstandenen Kaltblutlinien seien darauf zurückzuführen.
Intensive Zucht führte auch zum Verlust von Linien
Anhand des Y-Chromosoms konnten die Forscherinnen und Forscher einen zweiten weitreichenden historischen Ausbreitungsweg identifizieren. Diese von Westasien ausgehende Strömung ging mit der Expansion des Osmanischen Reichs einher und erklärt auch die Ursprünge der heutigen Vollblut- und vieler Araberlinien. Der Einfluss dieser "türkischen Pferde" war viel größer als gemeinhin angenommen, man sehe diese Linien heute in vielen westasiatischen Pferderassen und in Pferden im Balkanraum, betonte Wallner.
Die intensive Tierzucht hat in vielen Rassen aber auch zur Verdrängung und zum Verlust von Linien geführt. Als Beispiel nennt Wallner die Warmblutpferde, die heutigen Reitpferde. Während in lokal angepassten Rassen typischerweise viele verschiedene väterliche Linien vertreten sind, findet man in der Gruppe der Warmblutpferde heute nur die Vollblut- sowie einige Araberlinien.
Service - Internet: https://doi.org/10.1073/pnas.2414408121
APA/red Foto: APA/APA/dpa/Felix Kästle