Künstliche Intelligenz zeigt wie Einzeller ihren Weg finden

10. Mai 2021 - 8:59

Auch ohne Nervensystem können sich Einzeller gezielt fortbewegen, etwa in Richtung Nahrung. Wiener Forscher haben nun mithilfe Künstlicher Intelligenz in einem physikalischen Modell diese Fähigkeit nachgebildet. Ihr Computer-Organismus bewegt sich bei seiner "Nahrungssuche" ähnlich wie seine realen Vorbilder. Im Fachjournal "Pnas" zeigen sie, dass solch komplexe Fortbewegungs- und Navigationsstrategien durch überraschend einfache interne Mechanismen erreicht werden können.

Einzeller nimmt wahr, in welcher Richtung die Nahrungskonzentration höher ist
Einzeller nimmt wahr, in welcher Richtung die Nahrungskonzentration höher ist

Verschiedene Mikroorganismen, aber auch Säugetierzellen wie etwa weiße Blutkörperchen sind in der Lage, sich in Flüssigkeiten in Richtung höherer Sauerstoff- oder Nährstoffkonzentrationen bzw. weg von Schadstoffen zu bewegen - die Wissenschaft bezeichnet das als "Chemotaxis". Sie nutzen dazu etwa Geißeln (Flagellen) genannte fadenförmige Fortsätze oder verformen ihren Körper. So können sie sich mit abwechselnden Taumel- und Schwimmbewegungen relativ gezielt vorwärtsbewegen.

Wenn sich mehrzellige Lebewesen gezielt fortbewegen, kann man das über die Verschaltung von Nervenzellen erklären. Doch so etwas existiert in Einzellern nicht, bei ihnen sind nur extrem einfache Verarbeitungsschritte innerhalb der Zelle möglich. Wie die Einzeller mit einem derart geringen Grad an Komplexität einfache "Sinneseindrücke" etwa von chemischen Sensoren, intrazelluläre Informationsverarbeitung und zielgerichtete Bewegung in Verbindung bringen können, "ist faszinierend, und immer noch nicht wirklich gelöst", erklärte Andreas Zöttl von der Arbeitsgruppe "Theorie der Weichen Materie" am Institut für Theoretische Physik der Technischen Universität (TU) Wien gegenüber der APA.

Künstliches neuronales Netz steuert Drei-Massen-Modell

Dem Physiker ist es nun mit Kollegen gelungen, diesen Prozess am Computer zu simulieren. "Wir haben das einfachstmögliche Modell gewählt, das eigenständige Bewegung in einer Flüssigkeit physikalisch überhaupt erst erlaubt", so Zöttl. Der Computer-Einzeller besteht aus drei Massen, die durch zwei vereinfachte Muskeln verbunden sind. Dies sei mittlerweile ein klassisches Modell für Zellbewegungen auf Mikro-Skala, für die die Natur unterschiedliche Lösungen, etwa Flagellen oder Verformungen der Zelloberfläche gefunden hat.

Dieses Drei-Massen-Modell muss allerdings auch gesteuert werden, damit es eine Schwimmbewegung ausführt. Als interne Entscheidungsmaschine haben die Wissenschafter dafür ein künstliches neuronales Netz genommen. Denn auch in der Realität gibt es im Einzeller logische Verbindungen zwischen unterschiedlichen Elementen der Zelle: So führen "Sinneseindrücke" in Form chemischer Signale am Ende zu einer bestimmten Bewegung. "Diese logischen Schritte lassen sich mathematisch auf ähnliche Weise beschreiben wie ein neuronales Netz", so Zöttls Kollege Benedikt Hartl.

Diese Simulation haben die Wissenschafter mit einem Machine-Learning-Algorithmus angepasst, der von der Evolution natürlicher Lebewesen inspiriert ist. So wurde die Bewegungsstrategie der virtuellen Einzeller von Generation zu Generation leicht verändert und die erfolgreichsten Computer-Organismen durften sich "fortpflanzen". Nach vielen Generationen entwickelten sich "überraschend einfache neuronale Netzwerke", wie die Forscher schreiben, die es dem virtuellen Einzeller erlauben, chemische Wahrnehmungen selbstständig in zielgerichtete Bewegung umzusetzen.

Sobald die Forscher dabei die Signalübertragung in das neuronale Netzwerk absichtlich etwas störten - sie nennen das verrauschen - entsteht die von realen Einzellern bekannte, typische abwechselnde Taumel- und Schwimmbewegungen, die in die richtige Richtung führt. Offensichtlich genügt eine sehr einfache interne Entscheidungsmaschinerie, die an die Umwelt gekoppelt ist, um in unterschiedlichen chemischen Landschaften zu navigieren.

Service: https://doi.org/10.1073/pnas.2019683118

(APA/red, Foto: APA/TU Wien)

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