"Grande Dame" der Austro-Wissenschaft: Helga Nowotny wird 85

5. August 2022 - 8:42

Spätestens durch die Covid-19-Krise sei die "Wissenschaft in der Mitte der Gesellschaft angekommen", so eines der Fazits der Wissenschaftsforscherin und Ex-Präsidentin des Europäischen Forschungsrats (ERC), Helga Nowotny, aus den bewegten vergangenen Jahren. Am Dienstag (9.8.) begeht die einflussreiche und umtriebige Forscherin ihren 85. Geburtstag. Zuletzt reflektierte die "Grande Dame der österreichischen Wissenschaft" die Rolle der Forschung in der Gesellschaft intensiv.

Nowotny leitete den ERC bis 2013
Nowotny leitete den ERC bis 2013

Zur Pandemie und ihren mannigfaltigen Auswirkungen äußerte sich Nowotny klar: Die Wissenschaft habe mit der Entwicklung von Impfstoffen in kurzer Zeit ihre Leistungsfähigkeit bewiesen, stoße aber dennoch vielfach auf Misstrauen. Gewissermaßen als Gegenmittel empfahl sie in einem "Policy Brief", nicht nur die "Tagesseite" der Wissenschaft, also ihre Erfolge, zu vermitteln, sondern auch ihre "Nachtseite" und damit den Forschungsprozess als Ganzes.

Wissenschaft als "organisierter Skeptizismus"

Wie die Wissenschaft als "organisierter Skeptizismus" die Welt und die Mechanismen, nach denen sie funktioniert, abbildet, beschäftigt Nowotny schon über viele Jahrzehnte. Eine gewisse Distanz wahrte sie im Verlauf ihrer steilen Karriere zu österreichischen Einrichtungen, was ihr angesichts des "eher mühsamen Weges" durch das heimische Uni-System nicht unbedingt zu verdenken war. Seit einiger Zeit ist die renommierte Expertin aber auch hierzulande ebenso präsent wie am internationalen Parkett der Forschungspolitik.

Wissenschaftsforschung betreibt Nowotny aus dem Blickwinkel einer Soziologin. Dabei hatte sich die am 9. August 1937 in Wien Geborene ursprünglich den Rechtswissenschaften zugewandt. Die Soziologie schreckte sie noch ab, als sie im letzten Jahr des Gymnasiums zur Studienorientierung Vorlesungen an der Universität Wien besuchte. So absolvierte sie ein Jus-Studium und wurde nach dem Doktorat 1959 und der Gerichtspraxis Assistentin am Institut für Kriminologie.

Doch dann ging Nowotny mit ihrem damaligen Mann und ihrer kleinen Tochter nach New York und suchte eine neue berufliche Betätigung. Als sie den aus Österreich vertriebenen Soziologen Paul Lazarsfeld traf, der Professor an der Columbia University war, beschloss sie über Nacht, bei ihm ein Ph.D.-Studium in Soziologie zu absolvieren, das sie 1969 abschloss. Einer ihrer Lehrer an der Columbia University, Robert K. Merton, brachte sie dazu, die Forschung zu ihrem Forschungsgegenstand zu machen - sie wandte sich den Bereichen Wissenschaftsforschung und -theorie zu. Diese boten mit heißen Themen wie dem Vietnam-Krieg oder dem Sputnik-Schock ein brisantes Betätigungsfeld.

Zurück in Wien arbeitete Nowotny am Institut für Höhere Studien (IHS), wo sie von 1970 bis 1972 die Soziologie-Abteilung leitete. Nach einem Gastaufenthalt am King's College in Cambridge (Großbritannien) wurde die Wissenschafterin 1974 Gründungsdirektorin des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung in Wien, eine Funktion, die sie bis 1987 innehatte.

Habilitation mit einer Prise Humor

Wie mühsam österreichische Hochschuleinrichtungen sein können, zeigt Nowotnys Weg zur Lehrbefugnis: Zuerst musste sie sich mangels Unterstützung in Österreich an der Universität Bielefeld habilitieren (1980). Doch dies wurde in Österreich nicht anerkannt - Folge war eine zweite Habilitation 1982 in Wien, "unter Bedingungen, die eine durchaus komische Seite hatten", wie sie sich einmal erinnert hat. In den folgenden Jahren war die Soziologin als Dozentin an der Uni Wien tätig, ehe sie 1987 zur Ordinaria für Wissenschaftstheorie und -forschung sowie Vorständin des neu gegründeten gleichnamigen Instituts an der Uni Wien wurde.

1996 folgte der Ruf der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich, wo man Nowotny als Professorin für Wissenschaftsphilosophie und -forschung wollte. Diesen Lehrstuhl hatte sie bis zu ihrer Emeritierung 2002 inne, sie leitete ab 1998 auch das "Collegium Helveticum" der ETH Zürich.

Nowotny hat zahlreiche Gastprofessuren und Fellowships erhalten, wurde im ersten Jahr des Wissenschaftskollegs zu Berlin als Fellow berufen und war als Permanent Fellow am Aufbau des Collegium Budapest beteiligt. Darüber hinaus hat sie in ihrer akademischen Karriere zahlreiche Funktionen bekleidet. So war sie u.a. sieben Jahre lang Vorsitzende des sozialwissenschaftlichen Komitees der European Science Foundation und von 2001 bis 2005 Vorsitzende des European Research Advisory Board (EURAB), dem höchsten Beratungsgremium der EU-Kommission in Sachen Forschung.

Eine der einflussreichsten Frauen

Ende 2005 wurde sie Vizepräsidentin des neu geschaffenen Europäischen Forschungsrats (ERC), den sie von 2010 bis 2013 dann als Präsidentin leitete. Die britische Tageszeitung "Financial Times" zählte sie 2011 zu einer der einflussreichsten Frauen im Bereich "Wissenschaft".

Auch in Österreich hatte und hat Nowotny zahlreiche Funktionen: Sie war Präsident des Wiener Instituts für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), leitete von 2014 bis 2019 das vom Wissenschaftsministerium eingerichtete Beratungsgremium ERA-Council Forum Austria und ist seit 2015 Mitglied des Rats für Forschung und Technologieentwicklung (RFTE). Zudem ist sie Vizepräsidentin des Kuratoriums der Lindauer Nobelpreisträgertagungen und bekleidet zahlreiche weitere Funktionen im Forschungssystem im In- und Ausland.

"Grundvertrauen" in die Wissenschaft

Dabei war ihr immer das Verhältnis zwischen der Wissenschaft und der Gesellschaft ein Anliegen. So gebe es "eine Art Grundvertrauen in die Wissenschaft", erklärte Nowotny am Pandemie-Beginn der APA. Schon vor Covid-19 aber beobachtete und analysierte sie etwa die Zwentendorf-Diskussion. In zahlreichen Büchern und über 300 Fachartikeln beschäftigte sie sich mit einschlägigen Konflikten und Entwicklungen bzw. untersuchte, wie Wissen an die Öffentlichkeit kommt, wie Politik und Geld das Wissenschaftssystem beeinflussen und sich neue Entwicklungen ihren Weg bahnen. So plädierte sie in ihrem Buch "The Cunning of Uncertainty" ("Die List der Ungewissheit", 2015) für einen entspannteren Umgang mit den Grenzen der Planbarkeit. Im Herbst des vergangenen Jahres erschien unter dem Titel "In AI We Trust: Power, Illusion and Control of Predictive Algorithms" ihre Auseinandersetzung mit dem zuletzt sehr präsenten Thema Künstliche Intelligenz (KI).

Service: http://helga-nowotny.eu

(APA/red, Foto: APA)

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