Geschichtsunterricht: Öfter Faktenlernen als kritisches Hinterfragen

21. Oktober 2019 - 11:05

Seit 2008 ist für den Geschichtsunterricht an AHS und Neuen Mittelschulen (NMS) die Orientierung an Kompetenzen vorgeschrieben - die Schüler sollten also neben Fachwissen kritisches historisches Denken erlernen. Das ist allerdings bisher weder in den Geschichtsbüchern noch in den Köpfen aller Lehrer verankert, zeigt ein vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Forschungsprojekt der Uni Salzburg.

Unterricht soll Schülern helfen, sich "eine gewisse Mündigkeit" anzueignen
Unterricht soll Schülern helfen, sich "eine gewisse Mündigkeit" anzueignen

Christoph Kühberger, Historiker und Experte für Geschichts- und Politikdidaktik der Universität Salzburg, hat für die Untersuchung mit seinem Team zwischen 2008 und 2016 veröffentlichte Geschichtsbücher für die 2. bis 4. Klasse AHS/NMS analysiert. Außerdem haben die Wissenschafter laut Aussendung des FWF 277 Lehrer und 1.086 Schüler aus 25 Schulen in Wien, Graz und Salzburg befragt.

Wie viel an den Darstellungen des Eismenschen Ötzi ist belegbar und wie viel ist inszeniert? Die Haltung, dass Geschichte nur eine Perspektive von mehreren abbildet und generell ein Konstrukt ist, ist laut Kühberger eine erlernbare Kompetenz. Deren Vermittlung kommt im Geschichtsunterricht dem Forschungsprojekt zufolge allerdings zu kurz, obwohl viele Schüler täglich im Internet, Fernsehen oder über Computerspiele mit Geschichte konfrontiert sind. "Sie müssen das mehr oder weniger glauben und sind dieser Geschichtskultur ausgeliefert. Im Geschichtsunterricht könnten sie sich jedoch selbstständiges, kritisches Hinterfragen und damit eine gewisse Mündigkeit aneignen", so Kühberger.

Fokus bei Aufgaben auf Auswendiglernen

In den untersuchten Schulbüchern werde die Kompetenzorientierung "nicht durchgängig ernst genommen". Bei drei Viertel der Arbeitsaufgaben gehe es um das Wiedergeben von Inhalten statt um "historisches Denken, also kritisches Hinterfragen".

Bei den Lehrern ist die Haltung je nach Alter und Ausbildung unterschiedlich: Insgesamt unterrichtet laut der Erhebung die Hälfte der befragten Geschichtslehrer kompetenzorientiert. Etliche junge Lehrer, in deren Ausbildung Geschichtsdidaktik bereits Teil des Lehrplans war, sehen die Kompetenzorientierung positiv. Vor allem für ältere männliche Lehrer an Gymnasien hat allerdings Wissenserwerb und Auswendiglernen von Fakten im Geschichtsunterricht "oberste Priorität", sie plädieren erst in der Oberstufe für eine kritische Auseinandersetzung.

Umgestaltung der Schulbücher könnte helfen

Für Kühberger ist das allerdings höchst problematisch: "Viele besuchen gar keine Oberstufe und bekommen daher nie den Impuls, wie man kritisch über Geschichte nachdenkt." Außerdem würden die Kinder, je nach ihrer familiären Herkunft, schon eine Haltung zu Geschichte mitbringen und diese reiche von der Sicht, dass alles im Schulbuch wahr ist, bis zu einer reflektierten Sichtweise.

Um die Kompetenzorientierung voranzutreiben, würde Kühberger auf die Geschichtsbücher setzen. Diese werden immerhin laut Untersuchung von allen Lehrern "(sehr) häufig" genutzt. Durch eine Umgestaltung der Schulbücher könnte man die Lehrer in ihren Bemühungen unterstützen, bei den Schülern ein kritisches historisches Denken anzubahnen.

Service: https://doi.org/10.1007/978-3-658-24447-7

(APA/red, Foto: APA/APA (Punz))

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