Gen-Profiling verändert Krebsmedizin

6. Dezember 2019 - 5:41

Die Next-Generation-Sequenzierung (NGS) des Genoms von Zellen binnen kürzester Zeit und zu Preisen deutlich unter 1.000 Euro verändert die Krebsmedizin rapide. Eine Individualisierung der Menschen von Prävention bis zur allfälligen Nachsorge steht vor der Tür, hieß es bei einem Mediengespräch des Pharmakonzerns Roche in Zürich.

Aus Gewebe- und Blutproben werden individuelle Genprofile abgeleitet
Aus Gewebe- und Blutproben werden individuelle Genprofile abgeleitet

"Roche investiert pro Jahr elf Milliarden Schweizer Franken (zehn Milliarden Euro; Anm.) in Forschung und Entwicklung. Die Integration von Pharma und Diagnostikprodukten schafft uns eine einzigartige Stellung. Wir wollen die richtige Therapie für den dafür 'richtigen' Patienten zur richtigen Zeit", sagte Oliver Bleck, Geschäftsführer von Roche-Schweiz.

Nach der Übernahme des US-Biotech-Pionierunternehmens Genentech und der Entwicklung einer Vielzahl von Biotech-Medikamenten vor allem im Bereich der Onkologie hat sich der Konzern mit einem Jahresumsatz von zuletzt 56,8 Mrd. Schweizer Franken (53,5 Mr. Euro) unter anderem mit der Übernahme von Foundation Medicine (Boston/USA) ein weiteres Standbein geschaffen: Service und Analyse-Dienste für Onkologen weltweit.

Report über am besten geeignete Therapieform

Aus Gewebe- und Blutproben von Krebspatienten werden dabei individuell vorliegende Genprofile abgeleitet. Foundation Medicine gibt dem behandelnden Onkologen schließlich einen umfassenden Report über die am besten geeignete individuelle zugelassene Therapieform. Gibt es keine, sucht das System weltweit klinische Studien, zu denen ein Patient "passen" könnte.

Christian Rommel, Onkologie-Forschungschef von Roche, stellte ein Beispiel für Adeno-Lungenkarzinome dar: 25 Prozent der Tumore haben KRAS-Mutationen, 15 Prozent Mutationen im EGFR-Gen, drei Prozent im MET-Gen, je zwei Prozent in den HER2-, ROS1-, BRAF- und RET-Genen. Bei je einem Prozent liegt die Häufigkeit von Mutationen im NTRK-, PIK3CA und MEK-Gen.

Rommel sagte: "Für jede einzelne dieser Lungenkrebs-Erkrankungen gibt es mittlerweile spezifisch wirksame Medikamente." Das sind insgesamt schon rund 80 solcher Arzneimittel für die verschiedensten Krebserkrankungen. "Krebs, das sind rund 250 Krankheiten, zu denen etwa 350 Gene hauptsächlich beitragen. Bei einem Lungenkarzinom können das 100.000 Mutationen im Tumorzell-Erbgut sein."

Beim Lungen-Adenokarzinom existiert nur noch für rund 31 Prozent keine auf die einzelne vorliegende Genmutation abstimmbare medikamentöse Therapie. Adenokarzinome machen 25 bis 30 Prozent der Lungenkarzinome insgesamt aus, ein größerer Anteil (30 bis 40 Prozent) entfällt auf Plattenepithelkarzinome. Bei diesen ist man noch nicht so weit.

Test-Kit für Gewebeproben zugelassen

Foundation Medicine hat von der US-Arzneimittelbehörde bereits ein Test-Kit für Gewebeproben und deren Analyse von soliden Tumoren (Gewebetumoren) zugelassen bekommen (CDx). Ein zweiter Test zur Auffindung und Analyse von Tumor-DNA im Blut (LIQUID) befindet sich bei der FDA in Begutachtung. Er könnte sich wegen der einfachen Anwendung ohne Notwendigkeit einer Gewebeprobe für die langfristige Überwachung von Patienten auf Rückfälle etc. eignen. "HEME" als drittes Standbein soll für Blutkrebs und verwandte Erkrankungen eingesetzt werden.

Die Proben mit dem Testansatz werden dabei vom behandelnden Onkologen jeweils an ein Foundation Medicine-Untersuchungszentrum geschickt. Der Arzt erhält dann Analyse und Behandlungsempfehlungen zurück. Ein Beispiel: Bei einem Ovarialkarzinom werden Veränderungen beim BRCA1-Gen, ein Verlust des CDKN2/B-Gens und eine Mutation im RBM10-Gen entdeckt. Als derzeit einsetzbare Medikamente werden Substanzen wie Niraparib, Olaparib oder Rucaparib angeführt. Hinzu können Informationen über gerade ablaufende klinische Studien zu Patienten mit solchen Erkrankungen kommen.

Das System könnte sich zunächst einmal für Länder mit einer großen Zahl von niedergelassenen Onkologen eignen. Das ist beispielsweise in den USA als Flächenstaat der Fall. In Österreich ist die Onkologie hingegen auf Zentren in Spitälern konzentriert, Labor- und Analysekapazitäten sind an den Spitzenkliniken vorhanden. Doch die Entwicklung steht erst am Anfang. Die Pathologie-Abteilung des weltweit bekannten Züricher Universitätsspitals arbeitet zum Beispiel bereits mit Roche/Foundation Medicine zusammen.

Das System könnte auch einen erheblichen Sog für die Entwicklung neuer Therapien entwickeln. "Wir haben mittlerweile Real-World-Genprofile von Tumorerkrankungen von rund 300.000 Patienten", sagte Prasanth Reddy, stellvertretender Chef der medizinischen Abteilung von Foundation Medicine. Das ist ein unerhörter Schatz an Informationen. Aus den Mutationsmustern könnten sich neue Biomarker für die einzelne Krebserkrankung in Diagnose und zur Therapieüberwachung ergeben. Behandlungsdaten könnten in diese "Schleife" eingeschleust, neue Therapien getestet werden. Im Idealfall ergibt sich daraus ein selbstlernendes System für eine Onkologie der Zukunft.

Von Prävention zur Nachsorge

So könnte in Zukunft die Krebsmedizin aussehen: Ein langjähriger Raucher entschließt sich zu einer Genomuntersuchung. Dabei findet sich ein Krankheitsrisiko. Mittels regelmäßiger Liquid-Biopsy (Test auf Tumor-DNA im Blut) wird der Betroffene beobachtet. Bei Auftauchen eines Verdachts erfolgt eine möglichst schnelle Diagnose. Nach einer erfolgreichen Therapie schaltet man wieder zurück auf die regelmäßigen Blutabnahmen, um ein eventuelles Wiederauftauchen der Erkrankung möglichst schnell zu entdecken.

Diese Liquid Biopsy hat ihre Probe mit einer im Herbst beim Jahreskongress der Europäischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (ESMO) in Barcelona präsentierten "BFAST"-Studie bestanden. 2.219 Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom in den fortgeschrittenen Stadien IIIb und IV waren mittels Blutanalyse auf das Vorliegen einer Mutation im ALK-Gen untersucht worden. Bei 5,4 Prozent war das der Fall. 87 von ihnen konnten mit einem ALK-Inhibitor (Alectinib) behandelt werden. Die Ansprechrate betrug 87,4 Prozent. So "zielgerichtet" und effizient war bei solchen Erkrankungen bisher keine Chemotherapie. Bewiesen wurde dabei auch, dass die einfache Blutuntersuchung zumindest genauso gut ist wie eine belastende Entnahme einer Gewebeprobe.

Während es bei der Entwicklung der Liquid Biopsy vor allem um eine Diagnostik geht, welche die Patienten möglichst wenig belastet und die auch ständig wiederholt werden kann, schreitet die Forschung beim genetischen Tumor-Profiling weiter voran. Alwin Krämer vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg und in 32 Staaten beteiligte Wissenschafter (128 Studienzentren) untersuchen, ob man via Genuntersuchungen bei Patienten mit CUP-Syndrom - Krebs ohne erkennbaren Primärtumor - eine Verbesserung erreichen kann.

Krämer sagte bei dem Roche-Mediengespräch: "CUP macht drei bis fünf Prozent der Krebserkrankungen aus. Bei der Krebsmortalität steht es an vierter bis fünfter Stelle. Die Lebenserwartung bei Diagnose beträgt rund neun Monate. Die bisher einzige Behandlungsform ist die Gabe von Cisplatin-Chemotherapie. Diese Situation hat sich binnen fünf Jahrzehnten nicht geändert."

Primärerkrankung nicht feststellbar

Untersuchungen haben ergeben, dass das CUP-Syndrom aus genetisch sehr unterschiedlichen Krankheitsformen besteht. Bemerkt werden nur die Metastasen einer auch mit den modernsten Methoden nicht feststellbaren Primärerkrankung bzw. eines Primärtumors.

In der sogenannten CUPISCO-Studie erhalten 790 Patienten zunächst alle eine Cisplatin-Chemotherapie. 75 Prozent der Kranken, die darauf angesprochen haben, bekommen auf der Basis des Gen-Profilings des Tumors eine zielgerichtete Therapie, die anderen werden mit Cisplatin weiterbehandelt. Jene Patienten, die von allem Anfang nicht auf die Chemotherapie anbesprochen haben, werden schnell auf eine zielgerichtete Behandlung umgestellt. Schließlich soll sich herausstellen, ob die Behandlung auf der Basis von Tumor-Gendaten besser als die einfache Chemotherapie ist.

Klappt das, könnte die Studie dazu beitragen, das herkömmliche "Organmodell" von Krebserkrankungen - "Lungenkrebs", "Darmkrebs", "Brustkrebs" etc. nach dem jeweils befallenen Organ - endgültig abzulösen: durch eine Klassifikation nach den typischen Genveränderungen, welche die Krankheit antreiben. Dann ließen sich jeweils auch genau bei der einzelnen Krankheitsform wirkende, zielgerichtete Therapien entwickeln und einsetzen, welche fast immer einen Erfolg bringen. Die Ansprechraten herkömmlicher Chemotherapien liegen hingegen nur bei um die 20 bis 30 Prozent.

(APA/red, Foto: APA/APA (Hochmuth))

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