Flüssigbiopsie wird bei Krebserkrankungen immer wichtiger

12. September 2022 - 10:59

Immer mehr Krebserkrankungen können in chronische Leiden bzw. über lange Zeit beherrschbare Erkrankungen übergeführt werden. Dabei ist aber eine engmaschige Kontrolle erforderlich. Der Flüssigbiopsie (Liquid Biopsy) mit Laboruntersuchungen von Blutproben etc. auf enthaltenes Genmaterial von bösartigen Veränderungen kommt dabei immer größere Bedeutung zu, zeigen aktuelle Beispiele zu Dickdarmkrebs und aus der Augenheilkunde.

Bei Dickdarmkrebs kann Häufigkeit einer Chemotherapie halbiert werden
Bei Dickdarmkrebs kann Häufigkeit einer Chemotherapie halbiert werden

Für größtes Aufsehen sorgte im Juni dieses Jahres eine Studie, die beim Jahreskongress der Amerikanischen Gesellschaft für Klinische Onkologie (ASCO) in Chicago präsentiert worden ist. Eine internationale Wissenschaftergruppe unter Jeanne Tie zeigte, dass die Untersuchung von Blutproben von Patienten mit Dickdarmkarzinomen im Stadium II auf zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA) in der Lage ist, zwischen Kranken zu unterscheiden, welche nach der Operation und der Entfernung des Tumors eine nachfolgende (adjuvante) Chemotherapie benötigen und welche ohne eine solche belastende Behandlung genauso gut betreut sind. Die Ergebnisse der Studie wurden zeitgleich zu dem Kongress auch im renommierten "New England Journal of Medicine" publiziert (Fachartikel doi: 10.1056/NEJMoa2200075).

In der Untersuchung hatte man 302 Patienten vier und sieben Wochen nach der Operation mit Entfernung des Karzinoms auf ctDNA des Tumors im Blut untersucht. Wurden die Erbgutbestandteile entdeckt, erfolgte eine zusätzliche Chemotherapie. Bei 153 Patienten entschieden die Ärzte nach sonstigen bisher geltenden Kriterien für oder gegen eine Chemotherapie. Das Ergebnis war ausgesprochen positiv: In der Gruppe mit ctDNA-Untersuchungen kam es nur bei 15 Prozent der Patienten zu einer zusätzlichen Chemotherapie. Bei den Patienten mit herkömmlicher Versorgung wurde eine Chemotherapie bei 28 Prozent empfohlen und durchgeführt. Nach zwei Jahren betrug der Anteil der Probanden und Rückfälle 93,5 Prozent (ctDNA-Untersuchung) bzw. 92,4 Prozent und war damit de facto gleich. Somit können also in diesen Fällen solche Blutuntersuchungen einen wesentlichen Unterschied bei der Wahl belastender Therapien ausmachen.

Gewebeprobenentnahmen reduzieren

Die Liquid Biopsy eignet sich besonders für Untersuchungen, wenn häufige Gewebeprobenentnahmen unmöglich oder stark belastend wären. Gewebeproben im Verlauf von potenziell per Chirurgie unheilbaren Tumorerkrankungen waren bisher enorm wichtig, um Entscheidungen über die Therapie und/oder ein mögliches Rückfallrisiko zu bestimmen. Gerade hier könnte in Zukunft die Flüssigbiopsie eine große Rolle spielen. Zu Beginn der Entwicklung wurde versucht, mit dem Blut ausgestreute Tumorzellen zu messen. Statt ganzer Zellen kann aber auch die im Blut zirkulierende Erbinformation des Tumors (ctDNA) als Informationsquelle herangezogen werden. Man spricht von zirkulierender zellfreier Tumor-DNA. Die DNA-Fragmente gelangen aus Tumorzellen durch Apoptose ("Programmierter Zelltod"), Nekrose oder Sekretion in die Blutzirkulation.

Die Technik der Flüssigbiopsie bringt auch die Augenheilkunde weiter. Tumoren im Inneren des Auges stellen aufgrund ihrer Lage eine besondere Herausforderung für Diagnostik und Therapie dar. Sie sind insgesamt selten. Die Entnahme von Gewebeproben zur genaueren Charakterisierung der schwer zugänglichen Tumorherde ist immer mit großen Belastungen für das betroffene Auge sowie die Patienten verbunden. Um diese Belastung zu verringern, ist in den vergangenen Jahren intensiv an Möglichkeiten zur Flüssigbiopsie geforscht worden.

Die beiden häufigsten bösartigen Tumoren des Augeninneren sind das von Netzhautzellen ausgehende Retinoblastom und das Aderhautmelanom, bei dem die pigmentierten Zellen der unterhalb der Netzhaut gelegenen Aderhaut zu wuchern beginnen. "Bei beiden Erkrankungen wäre es ausgesprochen hilfreich, auf schonende Weise Informationen über die genetischen Besonderheiten des individuellen Tumors zu erhalten", sagte jetzt dazu Nikolaos Bechrakis, Direktor der Universitäts-Augenklinik Essen, aus Anlass des bevorstehenden Jahreskongresses der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) in Berlin Ende September. Mithilfe eines solchen genetischen Fingerabdrucks ließen sich wichtige Tumoreigenschaften bestimmen und die Therapie besser planen. Darüber hinaus mache es der Nachweis - oder auch das Fehlen - tumoreigener DNA möglich, den Krankheitsverlauf und die Wirksamkeit der Therapie zu beurteilen. "Besonders nach zunächst erfolgreicher Therapie bietet die Flüssigbiopsie die Chance, eine mögliche Rückkehr der Erkrankung frühzeitig zu erkennen und rasch darauf zu reagieren."

Tumormaterial aus vorderer Augenkammer oder Glaskörper

Bereits vor einigen Jahren konnte in klinischen Studien gezeigt werden, dass für die genetische Untersuchung von Augentumoren nicht unbedingt eine Gewebeprobe direkt aus der Geschwulst notwendig ist. Es lässt sich Tumormaterial - das gilt für Proteine ebenso wie für freie Tumor-DNA - auch aus der viel leichter erreichbaren vorderen Augenkammer oder dem Glaskörper des Auges gewinnen. Weil allerdings dabei das Auge punktiert werden muss, wurde zusätzlich auch die Flüssigbiopsie aus dem in den Adern zirkulierenden Blut untersucht. In der Essener Universitäts-Augenklinik wurden umfangreiche Studien durchgeführt. "Bei Patientinnen und Patienten mit Aderhautmelanom konnten wir mit großer Zuverlässigkeit tumorspezifische DNA in Blutproben nachweisen", berichtete Bechrakis.

Von besonderer Bedeutung sei dies für die Früherkennung von Metastasen. "Bei Patientinnen und Patienten, die nach der Entfernung des Primärtumors Metastasen entwickelten, ist das DNA-Signal im Blut bereits zwei bis zehn Monate vor dem Nachweis von Leber-Metastasen durch einen Ultraschall oder eine Magnetresonanztomografie des Oberbauches sichtbar gewesen", erklärte Bechrakis. Mit hochmodernen Geräten und sehr hoher Empfindlichkeit ließen sich 96 Prozent aller durch Metastasen erkrankten Personen zuverlässig erkennen ("Sensitivität"), 80 Prozent aller Personen ohne Metastasen können korrekt als nicht erkrankt eingestuft werden ("Spezifität"). Auch beim Retinoblastom sei es möglich, Tumor-DNA per Flüssigbiopsie sowohl in der vorderen Augenkammer als auch im Blut festzustellen.

(APA/red, Foto: APA/APA (Georg Hochmuth))

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