Expertin fordert zwingend Präsenz für Deutschförderklassen

25. November 2021 - 7:59

Deutschförderklassen wurden zu Beginn der Pandemie de facto ausgesetzt, zeigt eine Studie der Uni Wien. Dabei seien deren Schüler, die oft aus sozial benachteiligten Familien stammen und von ihren Eltern vielfach kaum unterstützt werden können, besonders auf Hilfe angewiesen. "Sprachförderung hatte eine sehr geringe Priorität in diesem Moment", beklagt Studienleiterin Susanne Schwab. Während des neuen Lockdowns sollten Deutschförderklassen zwingend in Präsenz bleiben.

Deutschförderklassen gibt es seit dem Schuljahr 2018/19
Deutschförderklassen gibt es seit dem Schuljahr 2018/19

Die Schulen sind zwar im aktuellen Lockdown grundsätzlich offen. Gleichzeitig wird an die Eltern appelliert, ihre Kinder nur in die Schule zu schicken, wenn sonst die Betreuung nicht sichergestellt ist bzw. die Schüler Förderbedarf haben. Bei Deutschförderklassen ist für Schwab ein Unterricht vor Ort allerdings aufgrund der Erfahrungen aus früheren Lockdowns unabdingbar. Gleichzeitig müsse diesmal auch sichergestellt sein, dass die Schüler der Deutschförderklassen nicht komplett von ihren Stammklassen getrennt werden.

Die Deutschförderklassen gibt es seit dem Schuljahr 2018/19. Bis zu 20 Stunden pro Woche werden Schülerinnen und Schüler, die die Unterrichtssprache nicht gut genug beherrschen, dabei in separaten Klassen in Deutsch gefördert. Nur Fächer wie Werken, Musik oder Turnen verbringen sie gemeinsam mit ihrer Stammklasse. Während der ersten Umstellung auf Distance Learning war dann plötzlich alles anders, zeigt eine qualitative Studie, für die Schwab und ihr Team (u.a. Marie Gitschthaler und Elizabeth Erling) im Dezember 2020 18 Lehrerinnen von Deutschförderklassen an Wiener Volksschulen interviewt haben.

"Der erste Lockdown hatte gravierende Auswirkungen auf Schüler der Deutschförderklassen", schildert Schwab. Plötzlich waren nicht mehr die Deutschförderklassen-Lehrer primär für diese Gruppe von Schülern zuständig, sondern die Lehrer ihrer jeweiligen Stammklasse. Die Deutschförderklassen-Schüler sollten damals außerdem dieselben Wochenpläne und Arbeitspläne abarbeiten wie Schüler der Regelklassen, obwohl sie laut Schwab oft schon beim Verständnis der Angaben auf gravierende sprachliche Barrieren stießen. Auch beim Inhalt konnten viele dieser Schüler mit ihren Kollegen der Stammklasse nicht mithalten, weil bisher in der Förderklasse der Fokus ja fast ausschließlich auf Deutsch gelegen hatte.

Fernunterricht im Lockdown "schwierig oder unmöglich"

Die Deutschförderklassen-Lehrer sollten die Lehrpersonen in den Stammklassen zwar beim Kontakthalten und Fördern der Deutschförderklassen-Schüler unterstützen. Ein Fernunterricht war laut den befragten Lehrerinnen allerdings "sehr schwierig oder unmöglich": Bei der Kommunikation per Telefon oder Video habe es massive Verständigungsschwierigkeiten gegeben. In vielen Familien fehlten Laptops, Tablets, Handys oder stabiles Internet, die vom Bildungsministerium angekündigten Geräte für sozial benachteiligte Schüler haben diese Zielgruppe laut den Berichten der interviewten Lehrerpersonen nicht erreicht. Auch die Voraussetzungen für passende Lernbedingungen waren vielfach ungünstig, so hatten manche Schüler keinen Schreibtisch oder in den Wohnungen war es laut. "Die Lehrkräfte waren teilweise hoch motiviert und engagiert, hatten aber große Schwierigkeiten ihre Schüler zu erreichen und zu fördern", fasst Schwab zusammen. Viele gaben an, sie hätten nach dem Lockdown wieder bei Null anfangen müssen.

Im zweiten Lockdown durften Schüler aus Deutschförderklassen wieder an die Schulen, wo sie je nach Standort bis zu 15 Wochenstunden Förderunterricht in der Unterrichtssprache (also etwas weniger als im Normalbetrieb, Anm.) erhielten. Das paradoxe Ergebnis: Jene Kinder, die in die Schule kamen, konnten laut den Lehrerinnen wegen der kleineren Gruppengröße individueller gefördert werden und da diese nicht ständig zwischen Deutschförder- und Stammklasse wechselten, entstand erstmals so etwas wie eine Klassengemeinschaft, schildert Schwab. Gleichzeitig sei es für jene Kinder, die in dieser Zeit gar nicht in den Unterricht gekommen waren, eine Katastrophe gewesen. Indem es keinen Kontakt mehr zur Stammklasse gab, fielen außerdem alle Kontakte zu gleichaltrigen Sprachvorbildern weg, Erfolgserlebnisse in Fächern wie Musik oder Turnen waren wegen der Coronaregeln nicht mehr möglich. "Das hat den Selbstwert der Schüler negativ beeinflusst", so Schwab.

Sommerschule reicht nicht aus

"Man müsste jetzt viel mehr tun, und das akut und schnell." Die zweiwöchigen Sommerschulen seien in diesem Zusammenhang zwar ein gutes Angebot, jedoch bei Weitem nicht ausreichend. Schwab fordert konkrete Konsequenzen daraus, dass den Schülern die ihnen zustehende adäquate Förderung verwehrt und so die schulische Weiterentwicklung quasi verhindert wurde. Denn während in den Regelklassen Tests und Schularbeiten zum Teil ausgesetzt wurden, wurde der MIKA-D-Test, der über einen Wechsel in eine Deutschfördergruppe oder Regelklasse entscheidet, trotzdem durchgeführt.

Die potenziellen Konsequenzen seien gravierend, zeigt Schwab am Beispiel eines Kindes, das im ersten Corona-Schuljahr seine Schullaufbahn in der Deutschförderklasse begonnen hat: Besteht dieses Kind den Test am Jahresende nicht, kann es nicht in die nächste Klasse aufsteigen. Damit kann es etwa passieren, dass ein Achtjähriger nach zwei Jahren Schulbesuch gemeinsam mit den "Tafelklasslern" lernen muss. Für die weitere Schullaufbahn sei all das schwer demotivierend, Schwab rechnet mit sozialen und psychischen Folgewirkungen bis hin zum Bildungsabbruch. Sie fordert deshalb Akutmaßnahmen: Wenn den Kindern schon bisher die zum Bestehen des Tests notwendige Förderung nicht bekommen hätten, müssten sie diese nun zumindest nachträglich erhalten.

(APA/red, Foto: APA/APA/HERBERT NEUBAUER)

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