Experten: Irren ist wissenschaftlich, trotzdem kaum Platz für Fehler

19. Juni 2018 - 10:59

"Man projiziert unglaublich viel Hoffnung in die Wissenschaft und dementsprechend stark ist sie unter Druck", hat Alfred Barth von der Sigmund Freud Privatuniversität bei einer Diskussionsveranstaltung in Wien gesagt. Die Gesellschaft erwarte sich Lösungen für Probleme, gleichzeitig zähle in der Karriere oft nur die Anzahl der Publikationen. Fehler hätten dabei wenig Platz.

v.l.n.r.: Moderatorin Mauthner-Weber, Barth, Denk, Widmann, Langer
v.l.n.r.: Moderatorin Mauthner-Weber, Barth, Denk, Widmann, Langer

Um die Fehlerkultur in der Wissenschaft sei es schlecht bestellt, sagte der Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie bei einem vom Bildungsministerium veranstalteten "Science Talk" zu diesem Thema. Der Druck auf die Wissenschaft liege zum einen in ihrer neuen Rolle als Religionsersatz begründet. "Die moderne Naturwissenschaft hat jene Rolle übernommen, die früher die Religion eingenommen hat", so Barth über ein "Tabuthema".

Der Druck der absoluten Wahrheit

Gesellschaft und Politik würden sich absolute Wahrheit von der Wissenschaft erwarten. Dass dieser Anspruch zum Scheitern verurteilt sei, habe man etwa im Zuge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise gesehen, wo Experten sowohl an deren Vorhersage als auch an deren Lösung gescheitert seien. "Unter dem Druck der absoluten Wahrheit kann es keine Fehlerkultur geben", sagte Barth. Man müsse auch akzeptieren, dass es für gewisse Probleme keine Lösungen geben kann.

Irren sei zwar menschlich, aber das System der Wissenschaft biete auch ausreichende Sicherheitsnetze zur Vermeidung von Fehlern, befand der ehemalige Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Helmut Denk. Dazu zählen Einrichtungen, denen Denk selbst angehört, wie die an der ÖAW angesiedelte Kommission für Wissenschaftsethik oder die Agentur für wissenschaftliche Integrität (OeAWI). Trotz dieser Kontrollmechanismen müsse "die Wissenschaft in ihrer Selbstkontrolle über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehen". Wichtig sei auch, zwischen einem ehrlichen Fehler und dem bewussten wissenschaftlichen Betrügen zu unterscheiden, so Denk.

Fundamentale Fehler

Fehler seien in der Physik "inhärent und ganz fundamental" und daher nichts Schlechtes, erklärte Eberhard Widmann, Direktor des Stefan-Meyer-Instituts für subatomare Physik der ÖAW. Problematisch könne es aber durchaus werden, wenn sich gewisse Erkenntnisse erst später als Fehler herausstellen und in der Zwischenzeit andere Arbeiten darauf aufbauen. So etwa geschehen, als im September 2010 Forscher des Opera-Experiments am Europäischen Kernforschungszentrum CERN Messergebnisse publiziert hatten, wonach winzige Elementarteilchen namens Neutrinos schneller als Licht fliegen.

"Eine Lanze für den Irrtum" brach Martin Langer, Professor für Risiko- und Sicherheitsmanagement an der Fachhochschule (FH) Campus Wien. Der Irrtum sei einerseits ein Motor für die Forschung, andererseits könne man sich als Wissenschafter aber kaum mehr Fehler leisten. Ein Grund dafür liege im System, wo es unter dem Motto "Publish or Perish" gelte, möglichst viel zu publizieren. "Untergraben wir durch den Druck im System die wissenschaftliche Integrität?", stellte Langer in den Raum.

Tatsächlich sei das Publizieren in Fachjournalen schon ein Wettlauf wie im Sport geworden, stimmte Barth zu: "Die Länge der Publikationsliste ist entscheidend." Um diesen Anforderungen Genüge zu tun, werde auch genügend getrickst, etwa indem Arbeiten mehrfach oder "Restln" von Forschungsprojekten in schlechteren Journalen publiziert werden. Ein Lösungsansatz dafür, von der Quantität wieder zur Qualität zu kommen, könnte es sein, den Publikationsoutput zu limitieren. "Das ist aber ein Wunsch der nicht erfüllt werden kann", sieht Barth eine ständig steigende Nachfrage nach wissenschaftlichen Zeitschriften: "Das ist ein Geschäft."

(APA/red, Foto: APA/justsmilepics)

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