Liest man die antisemitischen Schriften, die seit den 1880er-Jahren in Deutschland und Österreich verstärkt erschienen waren, dann fällt immer wieder eines ins Auge: die so mächtige Triebkraft des Neides und der Habgier. "Wir sind diesem fremden Volksstamme nicht mehr gewachsen", rief Wilhelm Marr aus, der um 1880 den Begriff Antisemitismus in das Weltvokabular einführte. Er stellte den schnellen sozialen Aufstieg der Juden in das Zentrum seiner Agitation. Demselben Muster folgte der bekannte Berliner Antisemit Adolf Stoecker, der den Judenhass "als Gegenstand sozialer Besorgnis" predigte und den christlichen Deutschen das Gespenst jüdischer Vorherrschaft an die Wand malte: "Je länger, je mehr" würden die Juden "Arbeitgeber werden, dagegen die Christen in ihrem Dienste arbeiten und von ihnen ausgebeutet werden."
Tatsächlich kamen die meisten Juden mit den Anforderungen der Moderne sehr viel besser zurecht als die Mehrheit der Christen. Zwischen 1886 und 1901 sprang der Anteil der jüdischen Schüler, die in Preußen einen höheren als den Volksschulabschluss nach Hause brachten, von 46,5 auf 56,3 Prozent. Das christliche Streben nach höherer als Volksschulbildung kroch im selben Zeitraum von 6,3 auf 7,3 Prozent. Gemessen an christlichen Schulkindern erreichten die jüdischen rund 7,5 Mal so häufig mittlere und höhere Schulabschlüsse. In den Statistiken sticht hervor, wie sehr jüdische Eltern bemüht waren, die Mädchen auf höhere Töchterschulen zu schicken. Um 1900 besuchten in Berlin 11,5 Mal so viele jüdische Schülerinnen eine weiterführende Schule wie christliche. Der offenkundige Vorsprung kam selbstverständlich an den Universitäten, hernach in den Berufen und Einkommensverhältnissen zum Tragen. Im frühen 20. Jahrhundert zahlte ein jüdischer Bürger Frankfurts durchschnittlich viermal so viel Steuern wie ein protestantischer, achtmal so viel wie ein katholischer.