Europäische Biobanken: Archiv für die Medizin der Zukunft

12. August 2019 - 10:59

Biobanken - Sammlungen von Proben wie u.a. Gewebe, Blut und Plasma - sind das Fundament der medizinischen Forschung. Von Graz aus wird die europäische Biobanken-Forschungsinfrastruktur BBMRI-ERIC aufgebaut und betreut. Digitalisierung spielt eine wesentliche Rolle, betonte Kurt Zatloukal, Direktor des österreichischen Knotenpunktes BBMRI.at und Infrastruktur-Initiator im APA-Gespräch.

Mit Biobanken Therapien entwickeln und Krankheiten diagnostizieren
Mit Biobanken Therapien entwickeln und Krankheiten diagnostizieren

Biobanken sind für die Forschung unverzichtbar geworden: Sie sollen helfen, dass neue diagnostische Methoden und Therapien entwickelt und Krankheiten bereits anhand feiner molekularer Unterschiede diagnostiziert werden können. Durch die umfassende Analyse von Blut-, Gewebe- und anderen Proben von gesunden und kranken Menschen lässt sich das Wissen für eine solche Präzisionsmedizin erarbeiten, erklärte der Grazer Pathologe. Das funktioniert aber nur dann, wenn die bereitgestellten Proben von einheitlich hoher Qualität sind und Forscher einen guten Zugang auf ausreichend große Probenzahlen haben, wie Zatloukal hervorhob.

Archiv in Graz

Der Pathologe hat sich seit mehr als einem Jahrzehnt darum bemüht, dass die über ganz Europa verteilten Sammlungen von biologischem Material - die sogenannten Biobanken - zu einer einzigen virtuellen Biobank zusammengeführt werden. Parallel dazu werden nun Technologien und Standards entwickelt. Angesiedelt sind die "Europäische Forschungsinfrastruktur für Biobanken und biomolekulare Ressourcen" (BBMRI-ERIC) und der seit fünf Jahren bestehende Österreich-Knotenpunkt BBMRI.at im "Zentrum für Wissens- und Technologietransfer in der Medizin" (ZWT) in Graz.

Dort ist auch die Biobank Graz der Med-Uni Graz untergebracht. Mit mehr als 20 Millionen menschlicher Proben sowie dazugehörenden klinischen Daten zählt sie zu einer der größten Europas. Die seit etwa drei Jahrzehnten gesammelten Bioproben werden etwa in Paraffin eingebettet oder in flüssigem Stickstoff bei minus 196 Grad Celsius aufbewahrt. "Wir sammeln für die Zukunft der biomedizinischen Forschung", so Zatloukal. Datenschutz und -sicherheit spielen bei dieser Entwicklung eine besonders wichtige Rolle. Proben und Daten werden von der Biobank Graz vor der Übergabe an die Forscher daher anonymisiert, so dass kein Rückschluss auf den einzelnen Spender möglich ist.

Einheitliche Standards erforderlich

Die Qualität der europäischen Biobanken ist allerdings nicht überall einheitlich hoch. Gemeinsam mit Netzwerkpartnern in ganz Europa wurde bereits ein Qualitätsmanagement-Tool zur Überprüfung der Probenqualität entwickelt, schilderte Kurt Zatloukal, Direktor des Österreichischen Biobanken-Knotenpunktes der europäische Biobanken-Forschungsinfrastruktur BBMRI-ERIC, gegenüber der APA.

Mit dem "Self Assessment Survey" können die Biobanken testen, ob die Proben und Prozesse den europäischen und internationalen (CEN und ISO) Standards - die auch von Graz aus mitentwickelt werden - hinsichtlich u.a. Sammlung, Kennzeichnung, Transport und Lagerung, Fixierungslösung und -dauer entsprechen. Nachdem die über BBMRI-ERIC vernetzten Biobanken ihre Proben überprüft haben, können sie in einer öffentlich zugänglichen Suchmaschine (BBMRI-ERIC Directory) mit dem CEN/TS-Standard ausgezeichnet werden. Auch das Directory wurde von BBMRI-ERIC entwickelt und umfasst bereits über 100 Millionen Proben von rund 500 Biobanken in rund 20 Mitgliedsstaaten.

Die Digitalisierung werde die Forschung stark beschleunigen, so Zatloukal. Das Diagnostik- und Forschungszentrum für Molekulare BioMedizin der Med-Uni Graz digitalisiert beispielsweise gerade tausende Gewebsschnitte von in Paraffin eingebetteten Gewebeproben. Die großen Datensätze, die das Spektrum menschlicher Krankheiten abdecken, sind wiederum Grundlage für maschinelles Lernen und den künftigen Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Pathologie. Wenn der Gewebeschnitt digital vorliegt, kann er künftig vom Computer mittels Künstlicher Intelligenz analysiert werden. "Künstliche Intelligenz wird den Pathologen jedoch nicht ersetzen, sondern ihn unterstützen und neue diagnostische Möglichkeiten eröffnen", so der Forscher.

Kooperation mit afrikanischen Biobanken

Die europäischen Biobanken treiben u.a. von Graz aus auch die Kooperation mit afrikanischen Biobanken und biomedizinischen Instituten voran. Der Wert der sich schnell entwickelnden afrikanischen Biobanken sei nicht zu unterschätzen, so Zatloukal: "Es gibt dort eine enorme genomische Vielfalt, andere Krankheitsursachen, Erkrankungen und sehr gut ausgebildete und motivierte Forscher."

Wissenschafter aus dem europäischen Netzwerk und Afrika haben in den vergangenen drei Jahren mit europäischer Förderung an der Standardisierung der Abläufe bei Probennahme und -konservierung, Dokumentation, Analyse und Datenverarbeitung in Afrika gearbeitet. Pathologen stehen dort vor hohen Herausforderungen - insbesondere in Regionen mit hoher ländlicher Infrastruktur: Anders als beispielsweise in Österreich steht ein Pathologe nicht für rund 26.000 Menschen sondern für neun Millionen Menschen zur Verfügung, erläuterte Robert Reihs vom Diagnostik und Forschungszentrum für Molekulare BioMedizin. Er hat wesentlich an der sogenannten BIBBOX mitgewirkt, "eine Art App-Store für Biobanking-Software", wie Reihs schilderte.

In dieser "Box für Biobanking" findet der Benutzer verschiedene Open-Source-Anwendungen und Tools wie die Datenerfassung und -analyse, Tools zum Erstellen von Online-Umfragen und Datenbanken bis zum Datenmanagement und -austausch aus dem Bereich Biobanken zusammengeführt. "Man muss kein IT-Spezialist sein, um die Tools zu installieren, sie können ohne großen Support selbst installiert werden", so Reihs. Dazu gibt es in einer Demoplattform Trainings- und Ausbildungsmaterial. "Hier sammeln wir die Proben nicht, sondern geben den Medizinern vor Ort die Möglichkeit, die Daten zu sammeln", führte Reihs aus.

Um die öffentliche Sichtbarkeit österreichischer Biobanken zu erhöhen, will man in den kommenden fünf Jahren sogenannte Leuchtturm-Sammlungen präsentieren, die zugleich als Musterbeispiele für weiterzuentwickelnde Sammlungen dienen sollen, schilderte Zatloukal. Weiters will man an der weiteren Verbesserung der Proben- und Datenqualität, die Entwicklung neuer ISO-Standards und die Optimierung der Zugangsregelung arbeiten.

Service: Infos zur Europäischen Forschungsinfrastruktur http://bbmri-eric.eu, zum Österreich -Knotenpunkt in Graz unter http://bbmri.at und zur Biobank Graz unter http://www.medunigraz.at

(APA/red, Foto: APA/APA (ZWT/Oliver Wolf))

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