Die Abenteuer des Alexander von Humboldt: Authentizität und Fiktion

23. April 2019 - 10:23

Mit ihrer Humboldt-Biografie hat Andrea Wulf 2016 einen fulminanten Erfolg erzielt. Nun - passend zum 250. Geburtstag des Weltwissenschaftlers - legt die deutsch-britische Historikerin nach: Mit "Die Abenteuer des Alexander von Humboldt" veröffentlicht sie eine opulente Darstellung der Amerika-Reise Humboldts von 1799 bis 1804, reichlich illustriert mit Bildern und Collagen von Lillian Melcher.

Gefragt sind genaues Hinsehen und aufmerksames Lesen
Gefragt sind genaues Hinsehen und aufmerksames Lesen

Wer einen leicht-konsumierbaren biografischen Humboldt-Comic erwartet, wird wohl enttäuscht. Denn Melcher veranschaulicht die Reise des Forschers durch Südamerika, Cuba, Mexiko und die USA in teils naiv und simpel wirkenden Bildfolgen, die kunstvoll mit zeitgenössischen Bildern und handschriftlichen Auszügen aus Humboldts Reisetagebüchern verwoben ist. Das ist einerseits eine Entdeckungsreise fürs Auge, erschließt sich andererseits aber meist nicht auf den ersten - und oft auch nicht auf den zweiten - Blick. Gefragt sind genaues Hinsehen und aufmerksames Lesen, um die teils skurrilen Bildfolgen zu verstehen.

Gleich zu Anfang wird der Leser - ohne jegliche Einleitung - in das Berliner Arbeitszimmer des greisen Humboldt im Jahr 1858 förmlich hineingestoßen. Dort stellt der umtriebige und redselige Forscher in einem Redeschwall die da schon über ein halbes Jahrhundert zurückliegende Reise vor.

Und schon ist man auf der spanischen Fregatte "Pizarro". Man folgt dem Forscher und seinem Begleiter Aimé Bonpland zu den Kanarischen Inseln, ins heutige Venezuela, zieht fasziniert mit ihm durch den Dschungel, begegnet Indianern, paddelt staunend über den Orinoco und erklimmt ehrfürchtig die schneebedeckten Gipfel der Anden.

Schlüsselmomente werden entsprechend gewürdigt

Autorin Wulf achtet darauf, dass viele Schlüsselmomente der Reise angemessen gewürdigt werden: der Sklavenmarkt von Cumaná, der den Neuankömmling zutiefst schockiert, die ökologischen Folgen der Abholzung für den Valenciasee, der Fang von Zitteraalen mit Hilfe von Pferden. Und natürlich - als Höhepunkt - die Besteigung des Chimbarazo, der damals als höchster Berg der Welt galt und dessen schematische Darstellung ein zentrales Motiv des Humboldt'schen Reisewerks ist. Daneben erzählt der Band aber auch viele kleinere Begebenheiten, die vermutlich eher Humboldt-Kennern vertraut sind.

Die Dialoge, so verrät Wulf in der Nachbemerkung, sind zwar letztlich fiktiv, beruhten aber auf Humboldts Tagebucheinträgen und Briefen. "Als einzige künstlerische Freiheit habe ich mir erlaubt, aus drei Dienern einen zu machen, den wunderbaren José", schreibt sie. Das stimmt wohl nicht ganz, schließlich sind auch die Auswahl der Szenen und ihre Darstellung in Wort und Bild subjektiv und kreativ. Zumal die Autorin in einer Szene an der Seite des Forschers selbst in Erscheinung tritt.

Zudem suggerieren die Dialoge eine Authentizität, die es so nicht gibt. Doch dazu bieten die naiv-schemenhaften Illustrationen Melchers den passenden Kontrast, der den Leser stets an die Fiktivität der Szenen erinnert. Am Ende der "illustrierten Entdeckungsreise", nach gut 260 Seiten, steht man wieder in Humboldts Arbeitszimmer in der Oranienburger Straße, wo der greise Forscher in einer Redeflut eine Bilanz seines Lebens zieht.

Insgesamt zählt die "illustrierte Entdeckungsreise" mit ihrer ungewöhnlich-liebevollen Gestaltung unter den vielen Humboldt-Werken wohl zu den ungewöhnlichsten. Sie entspricht vielleicht nicht dem Geschmack mancher Puristen, die klassische Erzählformen bevorzugen, und sie kann eine traditionelle Biografie sicher nicht ersetzen. Aber als Ergänzung ist sie durchaus lesenswert. Zumal man die stilistische Vielfalt der Collagen mit Blick auf den Interessenreichtum des Forschers durchaus als humboldtianisch empfinden kann.

Service: Andrea Wulf: "Die Abenteuer des Alexander von Humboldt", C. Bertelsmann Verlag; 272 Seiten, 28,80 Euro

(Von Walter Willems,dpa)

(APA/red, Foto: APA/C.Bertelsmann/Random House)

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