"Der Klang der Großstadt ": Als es in Wien läutete, hupte, fauchte

19. September 2018 - 9:23

Von 1850 bis 1914 ist Wien gewachsen - auch hörbar. Denn zur neuen Größe kamen neue Techniken, die eher nicht lautlos angewendet wurden. Signifikant war die Zunahme der akustischen Reize vor allem in der Zeit von 1850 bis 1914. Dieser Spanne widmet sich nun eine Buchneuerscheinung zur Geschichte des Hörens in Wien.

Neuerscheinung widmet sich der Akustikgeschichte der Jahre 1850 bis 1914
Neuerscheinung widmet sich der Akustikgeschichte der Jahre 1850 bis 1914

In "Der Klang der Großstadt" (Böhlau-Verlag) spürt der Historiker und Stadtforscher Peter Payer jenen Tönen und Geräuschen nach, die in mehrfacher Hinsicht vergangen sind. Denn zum einen unterscheidet sich der damalige "Sound" der Stadt signifikant von der Situation heute. Dazu kommt, dass es kaum Tonaufnahmen gibt, die dokumentieren, wie sich die Stadt angehört hat. Doch selbst sie geben nur eine Ahnung von der einstigen Geräuschkulisse.

"Töne am falschen Ort"

Relativ unverändert ist jedoch der Diskurs über die Geräusche der Metropole, da diese nicht immer nur gern gehört werden. Für "Töne am falschen Ort" gibt es seit dieser Zeit auch ein Wort: Lärm, ein ursprünglich aus dem Militärjargon stammender Begriff. Seit der Zunahme der Industrie und des Verkehrs wird darüber diskutiert, wie der Krach eingedämmt werden kann.

Die Lärmschutzbewegung, so ist in dem Band zu erfahren, folgte dem Lärm quasi auf dem Fuß. Sie hatte bürgerliche Wurzeln und sorgte sich weniger um die Belastung der Arbeiter in den Fabriken, sondern um die Belästigung des ruhebedürftige Städters durch den lärmenden Pöbel. Hingewiesen wird in dem Buch aber darauf, dass es gerade die Elite war, die ab der Jahrhundertwende für eine völlig neue Lärmquelle verantwortlich zeichnete: für das Auto. Dieses war zunächst nichts anderes als ein Spielzeug für Reiche, das in der Anfangszeit vor allem durch das permanente Hupen auffiel.

Der Autor verweist darauf, dass es im urbanen Umfeld immer eine Art "Grundrauschen" gegeben hat. Präsent waren in Wien auch die zahlreichen, den Tag strukturierenden Glocken. Signifikant zugenommen hat der Pegel dann aber nach dem Abbruch der Stadtmauern. Nicht nur der Verkehr konnte danach ungehindert fließen, auch die Bautätigkeit nahm gewaltig zu - was wenig überraschend ebenfalls mit Geräuschentwicklung einherging.

Dazu kam, dass die Nacht lebendiger wurde. Denn in Wien war der Tagesablauf lange Zeit von den Sperrzeiten der Haustore bestimmt. Wer nach 22.00 Uhr ins Gebäude wollte, musste den Hausmeister wecken und einen "Sperrgroschen" berappen. Somit waren zur späten Stunde kaum Menschen unterwegs. Die Kritik an dieser Gepflogenheit nahm immer mehr zu - genauso wie letztendlich die Zahl jener Mieter, die selbst über einen Hausschlüssel verfügten. Längeres Ausbleiben war somit unkomplizierter möglich - ein Umstand, von dem diverse Vergnügungsstätten profitierten.

Erste Pferdestraßenbahn 1865

Die zunehmende Modernisierung führte nicht zuletzt dazu, dass sich die Mobilität hörbar änderte. Zum Pferdegetrappel und Wagenrasseln kam etwa die Straßenbahn, die die Geräuschkulisse um Signalpfeifen und Glockentöne (beim An- und Abfahren aus Haltestellen) sowie das Quietschen in den Schienen ergänzte. Die erste elektrische Bim verkehrte 1897, schon 1865 war die erste Pferdestraßenbahn in Betrieb genommen worden.

So manche Klänge der damals rapide wachsenden Großstadt sind inzwischen weitgehend Geschichte - das gilt für das Brüllen der in Herden zu den Schlachthöfen getriebenen Rinder genauso wie für zu laute Rollbalken oder das Fauchen der Dampflokomotiven. Auch die unterschiedlichen Kaufrufe der fliegenden Händler sind nicht mehr zu vernehmen. Die Hausierer wurden sukzessive aus der Stadt verbannt, wobei sie nach ihrem Verschwinden prompt zu Archetypen der guten alten Zeit hochstilisiert wurden - was etwa für das "Lavendelweib" gilt.

Der Kampf gegen den Lärm wurde schließlich - im wahrsten Sinn des Wortes - auf der Straße mitentschieden. Die Verbannung des omnipräsenten Kopfsteinpflasters und die Ausbringung von Holzstöckelpflaster oder Asphalt führte zu einer spürbaren Entlastung. Zu den großen Helden gehören diesbezüglich der britische Tierarzt John Boyd Dunlop und der französische Industrielle Edouard Michelin. Ihre Erfindung, die pneumatische Gummibereifung, verbreitete sich ab den 1890er-Jahren auch in Wien. Wenig Erfolg war hingegen den Elektrofahrzeugen beschieden, die erst jetzt wieder eine Renaissance erleben. Der erste E-Bus fuhr übrigens bereits 1912 durch Wien, konkret vom Stephansplatz zur Volksoper.

In dem Buch werden auch individuelle Abschottungs- und Fluchtmaßnahmen beschrieben - die vom Gehörschutz bis hin zur Sommerfrische reichten. Letztere war dazu gedacht, die Nerven - und auch die Ohren - des gestressten Städters wieder zu beruhigen. Funktioniert hat es nicht immer wie gewünscht. Das zeigt ein Bild des Bahnhofsvorplatzes in Payerbach an der Rax. Dort war es mit Ruhe nicht weit her, standen doch in der Hochsaison bis zu 160 Pferdekutschen bereit. Die Städter hatten den Lärm mitgebracht.

Service: "Der Klang der Großstadt. Eine Geschichte des Hörens" von Peter Payer. Böhlau Verlag. 313 Seiten mit 50 Abbildungen. Preis: 30 Euro. ISBN 9783-205-20561-6

(APA/red, Foto: APA/Böhlau Verlag)

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