Corona - Internationale Studie: Suizidraten blieben etwa gleich

13. April 2021 - 20:05

Die Suizidraten in den reichen Staaten bzw. Regionen sind während der ersten Phase der Covid-19-Pandemie in etwa gleich geblieben oder sogar gesunken. Das ist das Ergebnis einer internationalen Studie mit österreichischer Beteiligung, die Dienstag in "Lancet Psychiatry" erschienen ist. In Österreich dürfte die Zahl der Suizide in Wien im Sommer 2020 vorübergehend gestiegen sein. Für die Jahre 2019 und 2020 im Vergleich zeigte hier sich kein Anstieg.

Die Pandemie und der damit verbundene Lockdown setzen Menschen zu
Die Pandemie und der damit verbundene Lockdown setzen Menschen zu

"Das ist die erste Studie, welche die Suizide im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie in mehreren Staaten untersucht hat. In Ländern mit hohem Bruttosozialprodukt oder einem der 'oberen Mittelklasse' blieb die Zahl der Suizide größtenteils gleich oder sank in den ersten Monaten der Pandemie im Vergleich zu den erwarteten Zahlen auf der Basis der Zeit vor Covid-19", schreiben Jane Pirkis vom Zentrum für psychische Gesundheit der Universität Melbourne (Australien) und die Co-Autoren in ihrer Zusammenfassung.

Drei Auswertungszeiträume

Insgesamt wurden - vor allem wegen der unterschiedlichen Zeitperioden für national verhängte "Lockdowns" - drei Auswertungen mit unterschiedlichen Zeiträumen durchgeführt: In einer Primäranalyse ging es um die Periode vom 1. April 2020 bis zum 31. Juli 2020 (und einem Vergleich vom 1. Juli 2019 bis 31. März 2020). In der zweiten Analyse wurde der Zeitraum vom 1. April 2020 bis längstens 31. Oktober 2020 betrachtet (im Vergleich zumindest mit Daten vom 1. Jänner 2019 bis 31. März 2020). Die zweite Analyse sollte mögliche längerfristige Effekte der Covid-19-Pandemie erkennbar machen. In der dritten Auswertung ging es um den Zeitraum vom 1. März 2020 bis zum 31. Juli 2020 (Vergleich: zumindest vom 1. Jänner 2019 bis 29. Februar 2020).

In zwölf Staaten bzw. Regionen zeigte sich ein statistischer Hinweis auf einen Rückgang der Häufigkeit von Suiziden. In New South Wales in Australien verringerte sich in der Primäranalyse die Suizidhäufigkeit beispielsweise um 19 Prozent, in British Columbia (Kanada) um 24 Prozent. In Leipzig wurde gar ein Rückgang um 51 Prozent beobachtet, in Texas (USA) um 18 Prozent. Chile wies eine um 15 Prozent geringere Suizidrate auf.

Auch österreichische Daten

In Österreich wurden die Daten aus Kärnten, Tirol und Wien in die Studie aufgenommen. Unter den österreichischen Co-Autoren finden sich beispielsweise Herwig Oberlerchner (Klinikum Klagenfurt), Thomas Niederkrotenthaler (MedUni Wien), Georg Psota (PSD-Wien) etc. Für die erste Periode (1. April bis 31. Juli 2020) wurden in Kärnten 36 Suizide registriert. Zu erwarten gewesen wären laut den Vor-Covid-Zahlen 30. Das bedeutete ein Plus von 21 Prozent. In Tirol wurden 31 Suizide registriert (zu erwarten: 41; somit 20 Prozent weniger). In Wien gab es 48 Suizide (45 vorausberechnet). Mit dem Faktor 1,07 blieb die Situation also gleich.

In der zweiten Analyse (1. April bis längstens 31. Oktober 2020) kam es in Kärnten zu 43 Suiziden (zu erwarten: 36; Steigerung um 19 Prozent). In Tirol lag in dieser Analyse die Zahl der Selbsttötungen bei 58 (vorausberechnet 65; minus elf Prozent). In Wien begingen hingegen im Vergleich zu den vorausberechneten 77 Fällen 101 Personen Suizid, was einer deutlich höheren Zahl in diesem Covid-19-Zeitraum entsprach. Die Autoren bezeichnen die Bundeshauptstadt hier als einen "Ausreißer": "Wien zeigte statistische Hinweise auf eine Zunahme von Suiziden (plus 31 Prozent; Anm.) relativ zu der zu erwartenden Zahl ...". In Japan und in Puerto Rico wurde eine deutlich geringere Zunahme registriert.

In der dritten Auswertung (1. März 2020 bis 31. Juli) zeigten sich Kärnten (40 registrierte Suizide, 40 zu erwarten) und Tirol (46 erfolgte Suizide, 49 zu erwarten; minus sieben Prozent) stabil. In Wien wurden 62 Fälle registriert (53 zu erwarten). Das bedeutete plus 18 Prozent.

Die in der internationalen Studie dokumentierten Schwankungen in der Häufigkeit von Suiziden sind jedenfalls stark vom jeweiligen Beobachtungszeitraum abhängig. Dies gilt laut Georg Psota, Co-Autor und Chefarzt der Psychosozialen Dienste (PSD), auch für jene in Wien. "Wir haben bei der Zahl der Suizide eine stabile Situation bzw. lag die Zahl im vergangenen Jahr zeitweise auch stark unter jener im Jahr 2019. 2019 wurden in Wien 153 Suizide registriert. Das war ein Jahr mit besonders niedrigen Zahlen. 2020 waren es (mit der anhaltenden Covid-19-Pandemie; Anm) 158 Suizide", sagte der Psychiater.

Im Mai 2020 gab es beispielsweise in Wien zehn Selbsttötungen, im Mai 2019 waren hingegen 17 registriert worden. Dem "Ausreißer" nach oben zwischen Juli und September 2020 stünden wiederum andere Monate mit niedrigen Zahlen gegenüber. Das sei eben der Effekt der Beobachtungszeiträume, erklärte Psota. "Wir beobachten die Entwicklung sehr genau und sehr zeitnah."

Reiche Regionen verstärkten psychosoziale Betreuung

Die Wissenschafter führen die weitgehend stabilen Zahlen während der frühen Phase der Covid-19-Pandemie auf zwei Faktoren zurück: In den reichen Staaten und Regionen sei die psychosoziale Betreuung zum Teil deutlich verstärkt worden. Außerdem hätten die Regierungen Maßnahmen gegen einen wirtschaftlichen Kollaps ergriffen. Die Studie sei aber nur ein Schnappschuss der ersten Zeit mit SARS-CoV-2.

Doch, so Studien-Erstautorin Jane Pirkis: "Wir müssen die Zahlen weiter beobachten und bei jedem Anstieg der Suizide alarmiert sein. Ganz speziell dann, wenn die vollen wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie offensichtlich werden."

Service: Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums. Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich.

(APA/red, Foto: APA/ROLAND SCHLAGER)

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