Corona - Herbst-Lockdown brachte Polarisierung und weniger Intimität

24. Februar 2021 - 10:59

Vereinsamung und damit verbundene psychische Probleme sind belegte Folgeerscheinungen der Distanzierungsmaßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie. Zwischen den Lockdowns im vergangenen Frühjahr und Spätherbst gibt es jedoch Unterschiede, wie die Soziologin Barbara Rothmüller nun festgestellt hat. Während des zweiten Lockdowns ist es ihrer Studie zufolge etwa zu Entsolidarisierung und Polarisierung in der Gesellschaft gekommen. Auch sexuelles Begehren und Berührungen nahmen ab.

Unterschiedliche Ansichten führten zu sozialen Verwerfungen
Unterschiedliche Ansichten führten zu sozialen Verwerfungen

Fast ein Jahr ist vergangen, seit am 16. März 2020 in Österreich der erste Lockdown als Maßnahme zur Pandemiebekämpfung begann, der nach schrittweisen Lockerungen am 1. Mai wieder aufgehoben wurde. Fast genauso lang beschäftigt sich die Soziologin und Sexualpädagogin, die an der Sigmund-Freud-Privatuniversität (SFU) forscht und an der Universität Wien unterrichtet, mit den psychosozialen Auswirkungen der Maßnahmen.

Als auffälligen Unterschied zwischen den beiden Lockdown-Phasen erkannte Rothmüller im Rahmen des zweiten Teils der Online-Befragung "Intimität, Sexualität und Solidarität in der Covid-19-Pandemie" zum Beispiel, dass die Distanzierung von Freundschaften im zweiten Lockdown stärker war als im ersten: "Im Herbst haben fast 70 Prozent der Befragten gesagt, dass sie seltener Kontakt mit Freunden und Freundinnen hatten", sagte sie zur APA. Für die von der SFU, der Stadt Wien und der Arbeiterkammer kofinanzierte Studie wurden von 10. November bis 10. Dezember vergangenen Jahres 2.569 Personen in Österreich (78 Prozent) und Deutschland (22 Prozent) online befragt. Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ, da Frauen und Akademiker über-, Jugendliche hingegen unterrepräsentiert sind.

Weniger Solidarität

Gerade bei Personen, die nicht in einer Partnerschaft sind, habe sich gezeigt, dass die sozialen Unterstützungsnetzwerke in vielen Fällen nicht mehr so tragfähig waren wie noch im Frühjahr. Das füge sich in den gesamtgesellschaftlichen Stimmungswandel im Umgang mit der Pandemie ein. Wohl habe es weiterhin solidarische Praktiken wie Nachbarschaftshilfe gegeben, aber nicht mehr in dem Ausmaß wie früher. "Ganz wenige Leute haben noch das Gefühl einer solidarischen Stimmung wie im April, als es noch Konzerte am Balkon gab", erklärte die Expertin.

Als starker Konfliktherd quer durch die Bevölkerungsgruppen, Freundeskreise und Familien entpuppten sich im zweiten Lockdown Meinungsverschiedenheiten über die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung. Immerhin ein Viertel der Befragten gab an, schon einmal Ausgrenzung aufgrund der persönlichen Haltung zu den Maßnahmen erfahren zu haben. Über Stigmatisierungen berichteten dabei sowohl Menschen, die die Regeltreue ihres sozialen Umfeldes für übertrieben hielten ("Coronahysteriker") als auch solche, die sich von "Coronaleugnern" bedroht fühlten und diese in der Folge mieden. Rothmüller berichtet in dem Zusammenhang von "dramatischen Beschreibungen, wie Menschen in ihrem Umfeld für ihre Haltung angefeindet werden" und den daraus resultierenden sozialen Verwerfungen.

Ansteckungsängste als negative Auswirkung

Gleich vier von fünf Befragten beklagten eine große Missinformation in der Bevölkerung. Zwei Drittel sehen die vorhandenen Ansteckungsängste als negative Auswirkung der Pandemie. Zu spüren bekamen das oft in Risikoberufen tätige Personen, die auch eine Hauptlast der Pandemie tragen. So hatte ein Drittel des befragten medizinischen Personals im zweiten Lockdown das Gefühl, dass sich Menschen aufgrund ihres Berufs von ihnen distanzieren.

Überproportional von der Pandemiesituation betroffen waren Frauen, die sich von den in sie gesetzten Unterstützungserwartungen - beruflich wie familiär - in der Pandemie überfordert fühlten und häufiger sehr erschöpft waren. Vermehrt über psychische Belastungen berichteten unter anderem auch Eltern mit Kinderbetreuung zu Hause (Homeschooling), außerdem Jugendliche, Singles, und Angehörige sexueller Minderheiten. Anlass zur Sorge bereitet für die Wissenschafterin in diesem Kontext das Ausmaß an Panikattacken: "20 Prozent der Frauen hatten seit dem Frühjahr eine Panikattacke. Das ist sehr viel. Bei den befragten Trans-Personen war es fast die Hälfte."

Sexuelles Begehren reduziert

Was intime Beziehungen betrifft, so hat sich als weiterer auffälliger Unterschied zur ersten Befragung im April 2020 bei fast einem Drittel das sexuelle Begehren reduziert, so Rothmüller: "Mittlerweile gibt es mehr Leute die sagen, dass sie nicht so wirklich viel Lust haben." Ein Fünftel der Befragten hat zudem pandemiebedingt die Familienplanung auf Eis gelegt. Erste Befunde aus den USA würden zeigen, dass die Geburtenrate in der Pandemie stark zurückgegangen sei. "Ich denke, das werden wir bei uns auch beobachten", erklärt die Soziologin.

Systematisch erhoben wurde beim Thema körperliche Nähe auch die Berührungsdeprivation, also ein allfälliger Mangel an Berührungen. "Ich würde nicht sagen, dass das eine neue Tendenz ist. Aber es ist schon ein bisschen schockierend, wenn fast die Hälfte der Menschen, die im Herbst in keiner stabilen Beziehung war, schon drei Monate oder länger niemanden mehr umarmt hat", sieht Rothmüller einen aus psychologischer Perspektive besorgniserregenden Aspekt.

Trotz einer tendenziellen Zunahme an Konflikten in Paarbeziehungen führte ein Großteil der Paare im zweiten Lockdown eine positive Beziehung. 70 Prozent der Befragten in einer Partnerschaft mit gemeinsamen Haushalt gaben an, Spaß zu haben und die Zeit miteinander zu genießen. Als Glück im Unglück wurde von vielen Befragten auch angegeben, mehr Zeit zum Nachdenken zu haben, ein neues Hobby aufgenommen zu haben oder einfach nur den ganzen Tag die Jogginghose tragen zu können.

Service: Die Studie im Internet: http://barbararothmueller.net/Bericht_02_2021.pdf

(APA/red, Foto: APA)

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