Die Digitalisierung von Gesundheitswesen und Medizin ist das Generalthema des ersten Austrian Health Forum als Expertenmeeting des Senats der Wirtschaft in Zusammenarbeit mit Partnern in Leogang in Salzburg (13. bis 15. Juni). Zur Eröffnung wurde bereits klar: Ohne erkennbaren Nutzen für Patienten und Ärzte werden viele Bemühungen scheitern.
Eine "komplette Transformation der Medizin" sah Herbert Resch, Unfallchirurg und Rektor der Salzburger Privat-Medizinuniversität (PMU) in seiner Eröffnungsrede heraufdämmern. Treiber dafür seien Kostendruck, chronische Erkrankungen, IT- und Kommunikationstechnik samt mobile Healthcare (Handys), Datenauswertung - und schließlich neue Sensor- und Mikroelektronik-Produkte. 1960 hätten die jährlichen Gesundheitsausgaben pro Einwohner in den USA noch 146 US-Dollar betragen, jetzt beliefen sie sich auf 10.000 US-Dollar.
Umsetzung entscheidet über Erfolg oder Misserfolg
Resch: "Es gibt bereits Telemedizin, personalisierte Medizin, Sensoren (tragbare Blutdrucksensoren kosten nur noch ein bis zwei US-Dollar; Anm.) und Künstliche Intelligenz mit Big-Data-Analysen per Algorithmen." Die Frage ist allerdings, wie gut die Umsetzung in der täglichen Medizin geschieht. Das entscheidet über Erfolg oder Misserfolg.
Der Salzburger Privat-MedUni-Rektor nannte das Beispiel der elektronischen Gesundheitsakte in den USA. Sie wurde vor zehn für rund 30 Milliarden US-Dollar umgesetzt, ist aber laut einer aktuellen Analyse von Kaiser Health News (USA) bestenfalls Stückwerk geblieben. Das Urteil sei "desaströs" gewesen. "Es gab Tausende Behandlungsfehler. Es hat Todesfälle gegeben." Die Ursachen waren menschliches Versagen und eine zu komplexe Technik gewesen. Entscheidend aber auch für die Nicht-Akzeptanz: "Die Patienten hatten keinen Zugriff auf die eigenen Daten. Das System wurde vor allem geschaffen, um die Abrechnung zu verbessern. Das war die falsche Zielrichtung."
"Die Gewinner müssen die Patienten sein", sagte Resch. Und wenn die Ärzte durch alle die neuen technischen Möglichkeiten das Gefühl erhielten, sie würden dadurch nicht primär in ihrer Arbeit unterstützt, würde die Etablierung solcher Systeme gebremst.
Zukunft der Onkologie ist digital
Im Bereich der Onkologie ist die Zukunft ohne Digitalisierung, Datenanalyse und Künstliche Intelligenz samt ersten Vorschlägen diffizil ausgewählter Therapieschritte in Zukunft wahrscheinlich nicht mehr zu bewältigen. Dies erklärte der Wiener Onkologe Christoph Zielinski, Koordinator des Vienna Cancer Center: "Wir werden zum Teil in die Elektronik gezwungen. Bei der heutigen Arbeitsbelastung müsste ein Radiologe alle drei bis vier Sekunden ein neues Bild begutachten. An der University of Central Florida wurde ein System geschaffen, das Computertomografien um 30 Prozent genauer begutachtet als ein Radiologe. Artificial Intelligence wird den Arzt nicht ersetzen, aber sie wird ihn entlasten."
Einfach nicht mehr ohne die Digitalisierung auskommen werden die Onkologen in Zukunft, wenn sie Genomdaten des Patienten, Gendaten von Tumoren und viele andere Faktoren dazu nützen, die jeweils wirkungsvollste und nebenwirkungsärmste Therapie auszuwählen. "Zwischen 2011 und 2016 sind 60 zielgerichtete Medikamente zugelassen worden. 2018 waren wieder 60 neue in Zulassung. Alle drei Jahre verdoppelt sich das medizinische Wissen." Hier könnten nur noch Hilfssysteme, welche die Publikationen analysieren, aufbereiten und auch erste Therapievorschläge herausfiltern, den Datenwust bewältigbar machen. "Wir wollen wissen, welches Medikament in welcher Situation und zu welchem Zeitpunkt das beste ist."
Zielinski ist gegen zu viel Skepsis und Ängste: "Ich glaube, das eröffnet uns tolle Wege. Fürchten können wir uns, wenn wir Zeit haben. Bis dahin wollen wir aber überleben." Das Vienna Cancer Center arbeitet an einem System, bei dem nach Eingabe von Patientendaten, Wohnort und Diagnose die für den jeweiligen Krebskranken optimal geeignete Krankenhausabteilung bzw. Ambulanz für den nächstmöglichen Termin angezeigt wird. Das soll unnötige Patientenströme ersparen helfen.
Keine Lösung für Sozialprobleme
Die Digitalisierung der Medizin kann Vorteile bringen. Aber den oft entscheidenden Einfluss sozialer und bildungsbedingter Faktoren auf die Gesundheit des Einzelnen wird sie allein nicht beheben. Hier haben Sozial- und Gesundheitssystem bisher mehr oder weniger versagt.
"Der Zugang zu Gesundheitsleistungen wird sich verändern, erleichtern", sagte Maria Kletecka-Pulker, Geschäftsführerin der Österreichischen Plattform Patientensicherheit. Die Frage sei aber: "Werden die Patienten den digitalen Tools auch vertrauen oder sie negieren?"
Benachteiligt durch Digitalisierung
Während die Digitalisierung einerseits für manche Patientengruppen und in manchen Situationen - ein Beispiel sei die Überwindung von Sprachbarrieren durch Dolmetschsysteme etc. - Vorteile bringen würde, könnten auch neue Benachteiligte entstehen: "Wir werden eine neue vulnerable Gruppe haben, die 'analogen Patienten', welche die Werkzeuge nicht benützen können oder das nicht wollen." Das österreichische Gesundheitswesen sei aber dazu verpflichtet, gleichen Zugang zu den Leistungen zu ermöglichen.
Auf der anderen Seite kann die Digitalisierung für die Patienten auch große Vorteile bieten. Maria Kletecka-Pulker: "Die große Chance liegt in der Patientensicherheit. Laut einer neuen Studie sind Behandlungsfehler bereits die dritthäufigste Todesursache."
Von besserer Kommunikation aller Beteiligten im Gesundheitswesen bis hin zu Systemen, welche Medikationsfehler verhindern helfen oder ein besseres Monitoring der Patienten ermöglichen, alles das könnte die Situation verbessern. IT-basierte Selbsthilfegruppen und mehr Partizipation der Patienten durch die Digitalisierung könnten über das damit einhergehende Empowerment neue Möglichkeiten eröffnen, betonte die Expertin. Auf der anderen Seite entstünden aber auch enorme Datenpools, deren Weiterverwendung noch längst nicht immer klar sei.
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