Angst vor Opferrolle hemmt Zivilcourage von Jugendlichen im Netz

21. Februar 2019 - 10:05

Jeder achte 15-Jährige ist in Österreich laut WHO schon einmal mit Textbotschaften oder Bildern gemobbt worden. Trotzdem kommen bei öffentlicher Demütigung im Netz Jugendliche den Opfern noch seltener zu Hilfe als bei Übergriffen im echten Leben. Mitgrund ist Angst, durch Zivilcourage selbst zum Opfer zu werden. Das zeigt eine Studie, die an der Uni Wien präsentiert wird.

Gängige Mechanismen für Zivilcourage gelten online nicht
Gängige Mechanismen für Zivilcourage gelten online nicht

"Was ist das für eine HÄSSLICHE SCHEISSE??? häng dich auf du fette sau du bist es nicht wert" (sic!) ist ein Beispiel für jene Grenzüberschreitungen und Beleidigungen, die laut dem Team um Ulrike Zartler vom Institut für Soziologie der Uni Wien für Jugendliche heute zur Lebensrealität gehören. Für die Opfer sind öffentliche Angriffe im Netz besonders belastend. Die Zahl möglicher Zeugen ist unendlich groß. Was einmal online ist, bleibt es für immer und wirkt in den analogen Alltag hinein. Mobbing fällt durch die Anonymität im Netz außerdem massiver aus, sagen die Studienautorinnen auf der Social Impact Plattform der Uni Wien.

Unbeteiligte Dritte - sogenannte Bystander - könnten den Opfern zwar zur Seite stehen und die Situation entschärfen, tun das laut Zartler aber so gut wie nie. Wieso das so ist, hat sie mit Christiane Atzmüller (Uni Wien) und Ingrid Kromer (Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems) auf Basis von Workshops und Gruppendiskussionen mit knapp 150 14- bis 19-Jährigen sowie einer Online-Studie mit fast 1.900 Jugendlichen untersucht.

Fehlender Kontext

Ein wichtiger Grund ist der fehlende Kontext: Online sieht man nicht, ob die Angriffe vom Adressaten überhaupt ernst genommen werden. Gerade Burschen würden sich im Internet oft aus Spaß untereinander beschimpfen. "Wer hier den Kontext falsch versteht, blamiert sich schnell und läuft Gefahr, selbst zum Opfer zu werden", so Christiane Atzmüller, Soziologin an der Uni Wien. Viele Jugendliche hätten zudem das Gefühl, durch ein Eingreifen die Opferrolle des Angegriffenen noch zu zementieren. "Opfer sein ist armselig, um Hilfe bitten ein No Go", beschreibt sie die Haltung der Jugendlichen.

Überraschend war für das Team um Zartler, dass gängige Mechanismen für Zivilcourage online nicht gelten: Denn anders als im echten Leben wird der Einsatz für Andere im Netz nicht durch gesellschaftliche Anerkennung belohnt. Es gibt auch keine sichtbare Entspannung der Situation. Alternativen zum aktiven öffentlichen Dagegenhalten werden ebenfalls selten genutzt: Die Meldefunktionen diverser Plattformen werden von Jugendlichen kaum ernst genommen. Erwachsene werden ebenfalls wenig involviert. Zu groß werde die Gefahr eingeschätzt, dass ein Handyverbot und damit quasi sozialer Ausschluss die Konsequenz sein könnte.

Für Jugendliche ist der Druck, ständig online zu sein und auf Interaktionen zu reagieren, allerdings groß. Die Studienautorinnen konnten die Strategie beobachten, dass Jugendliche Online-Angriffe mit der Zeit nicht mehr ernst nehmen und abstumpfen. Zartler versteht die Abgebrühtheit im Umgang mit sozialen Medien als eine jener "Entwicklungsaufgaben", die heutige Heranwachsende lösen müssen, um erwachsen zu werden.

Täter-Opfer-Umkehr

Die Schattenseiten der von den Jugendlichen gewählten Strategie: Durch das bewusste Ignorieren von Grenzüberschreitungen würden Hemmschwellen immer weiter verschoben. Dazu kommt eine Art Täter-Opfer-Umkehr nach dem Motto "Wer das ernst nimmt, ist selber schuld". Auch wenn Nacktfotos von Mädchen bzw. Fotos von Muslima ohne Kopftuch gegen deren Willen weiterverbreitet werden, werde der Fehler vielfach bei den Mädchen gesucht und nicht beim eigentlichen Täter.

Wenn Jugendliche bei Cybermobbing eingreifen, dann vor allem wenn Freunde oder Familienmitglieder Ziel von Angriffen werden oder es sich um gewisse No-Go-Situationen (Tierquälerei, Vergehen gegen Kinder, Darstellung sexueller oder physischer Gewalt) handelt. Mädchen, die offline viel stärker von symbolischer Gewalt betroffen sind, zeigen dabei generell öfter Zivilcourage - sei es in Form von Kommentaren unter einem Post, Meldungen von Videos oder Blockieren. Viele Unterstützungsmaßnahmen würden außerdem in der realen Welt stattfinden, weil Online-Interventionen oft als wirkungslos eingeschätzt werden. Online bedeutet Zivilcourage laut der Studie derzeit am häufigsten, dass dem Opfer in Privatnachrichten Mut zugesprochen wird.

Gemeinsam mit ihren Kooperationspartnern (saferinternet.at, Mauthausen Komitee Österreich, Büro für Kriminalprävention und Opferhilfe des Bundeskriminalamts) haben die Forscherinnen nun Strategien entwickelt, mit denen Jugendliche Opfer unterstützen und die Situation öffentlich entschärfen können, ohne selbst angegriffen zu werden. In einem weiteren Projekt unter dem Titel "Cyber Heroes" sollen noch weitere Werkzeuge entwickelt werden.

Service: Abschlussveranstaltung zum Forschungsprojekt "Zivilcourage 2.0" am 21. Februar von 13.00 bis 17.00 Uhr, Aula am Campus der Universität Wien, 9., Spitalgasse 2

(APA/red, Foto: APA)

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