Science Talk: "Un"-Krieg und Unfrieden

27. Februar 2018 - 10:36

Der Mensch ist dem Mensch ein Wolf. Zumindest, wenn es nach Philosoph Thomas Hobbes geht. Seiner Meinung nach ist Krieg der Naturzustand des Menschen. Dem widerspricht Kerstin Neumann, Professorin für Corporate Sustainability der Universität Innsbruck: "Unsere Ökonomieforschung hat gezeigt, dass der Mensch doch dazu tendiert, zu kooperieren, sich altruistisch zu verhalten."

v.l.n.r.: Moderator Nowak, Dietrich, Müller, Neumann
v.l.n.r.: Moderator Nowak, Dietrich, Müller, Neumann

Den großen Herausforderungen unserer Zeit, wie Klimawandel oder globale Armutsverteilung, können wir uns nur gemeinsam stellen und friedlich zusammenarbeiten, so Neumann. Aber ist dauerhafter Friede überhaupt möglich? Was ist überhaupt Friede, was ist Krieg? Wie empathisch, wie altruistisch ist der Mensch? Fragen wie diese wurden am 26. Februar im Rahmen eines vom Wissenschaftsministerium (BMBWF) organisierten "Science Talk" erörtert. Anlass war das Gedenkjahr der hundertjährigen Republik Österreich.

Die Grenzen verschwimmen

Neben Hobbes fand in der Diskussion auch Kant häufige Erwähnung. In seiner Schrift "Zum ewigen Frieden" definiert er Friede als Nichtkrieg zwischen Staaten. Das ist laut Wolfgang Dietrich, Friedensforscher und Politikwissenschafter an der Universität Innsbruck, aus Sicht der Friedensforschung keine ausreichende Definition. "Das Gegenteil von Frieden ist Unfrieden, das Gegenteil von Krieg ist Unkrieg." So könne man auch unter sehr schwierigen Bedingungen, beispielsweise in Kriegsgebieten, Friedenserfahrungen machen. "Frieden ist nicht die Abwesenheit von Krieg. In Österreich haben wir keinen Krieg, wir sind in keiner Kriegsgefahr. Daraus folgt aber nicht, dass wir in Frieden leben, wenn wir uns die öffentliche Stimmung ansehen", so Dietrich.

"Die Grenze zwischen Krieg und Frieden beginnt immer stärker zu verschwimmen", erklärte Wolfgang Müller, Historiker an der Universität Wien. "Krieg hat viele Definitionen. Es läuft darauf hinaus, dass mindestens eine reguläre staatliche Armee sowie eine bestimmte Masse an Menschen beteiligt ist, und dass es Tote gibt." Der täglich unter der Oberfläche stattfindende Cyberkrieg sei nach dieser konventionellen Definition also gar kein Krieg.

Der Räuber beißt sich in den eigenen Schwanz

"In den entwickelten Ländern zahlen wir den Preis dafür, dass wir seit Jahrzehnten auf Kosten anderer in anderen Erdteilen leben", erklärte Neumann die Migrationsströme aus Afrika. Migration sei ja auch ein Kampf um Ressourcen. Deshalb sei die Bewusstseinsbildung wichtig, einerseits der Unternehmen, nachhaltig zu wirtschaften, andererseits der Bevölkerung. "Wir sind ja alle nicht doof, verzeihen Sie. Wer T-Shirts um zwei Euro kauft, weiß, wie sie hergestellt wurden", forderte Neumann den Konsumenten zum Nachdenken auf. Mit seiner Konsumentscheidung könne jeder einen Beitrag leisten, die Verantwortung könne nicht allein auf die Politik und die Unternehmen abgewälzt werden.

Müller schlug in dieselbe Kerbe: "Frieden ist nur mit sustainable Development (Anm.: nachhaltige Entwicklung) möglich." Der Mensch sei durchaus in der Lage, ein nachhaltiges System für nachkommende Generationen aufzubauen, wenn er mit seinen Mitmenschen interagiert, sich austauscht und vom anderen lernt. Dafür ist Empathie wichtig.

"Der Mensch ist auf Kooperation angelegt", so Dietrich. "Wir können ohne die Anderen gar kein Ich bilden." Aus dieser Notwendigkeit zur Kooperation entstünden dann auch Konflikte. "Das ist gut so, das hält die Welt in Bewegung. Die Frage ist nicht, ob wir Konflikte haben, sondern wie wir damit umgehen."

Die Utopie des ewigen Friedens

Von Friede sprechen könne man nur, wenn es Subjekte gibt, die den Frieden wahrnehmen, jeder für sich, so Dietrich. "Friede ist also ein Pluralwort; die Frieden. Ein einziger Friede wäre ein bedrohliches Konstrukt, weil das jeder selbst bestimmen möchte. Wer möchte schon gesagt bekommen, dass jetzt Frieden ist?" Ist die Idee eines ewigen, dauerhaften Friedens also eine Utopie? "Im Namen der Utopie sind grauenvolle Dinge getan worden", verwies Dietrich auf den Nationalsozialismus: "Es gibt Utopien, die uns gefährlich machen." Der Gedanke an einen Frieden in der Zukunft sei Unsinn. "Wenn, dann muss ich jetzt bei mir selbst anfangen."

(APA/red, Foto: APA/BMBWF/Thomas Wagner)

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