Stark und sanft zugleich - Oberösterreicher baut künstliche Muskeln

4. Januar 2018 - 20:10

Roboter sollen künftig wie Lebewesen flexibel sein und großteils aus weichen Materialien bestehen. Der aus Oberösterreich stammende Physiker Christoph Keplinger hat dazu mit Kollegen künstliche Muskeln aus Kunststoff, Pflanzenöl und Elektroden gebaut, die sich bei einem elektrischen "Reiz" zusammenziehen. Aufbau und Funktionsweise erschienen in den Fachjournalen "Science" und "Science Robotics".

Die Muskeln können Himbeeren aufnehmen, ohne sie zu zerquetschen.
Die Muskeln können Himbeeren aufnehmen, ohne sie zu zerquetschen.

Mit künstlichen Muskeln könnte man zum Beispiel körperähnliche Prothesen bauen,und so den Alltag von Leuten verbessern, die Arme oder Beine verloren haben, erklärte Keplinger, der am Department of Mechanical Engineering der University of Colorado Boulder (USA) forscht, im Gespräch mit der APA. Sie seien auch ein zentrales Element für "Soft Robots" (Roboter aus weichen Materialien), die sich etwa bei Rettungsaktionen nach Erdbeben oder anderen Naturkatastrophen geschmeidig wie ein Oktopus zu Verschütteten durchzwängen könnten. Bei ihnen wäre es auch möglich, dass sie gefahrlos in der Nähe von Menschen arbeiten, was bei traditionellen, metallischen Robotern nicht der Fall ist, meint er.

Keplingers Forschungsteam präsentiert nun "hydraulisch verstärkte, selbstheilende, elektrostatische künstliche Muskeln" (hydraulically amplified self-healing electrostatic (HASEL) actuators), die Fachkollegen als "echten Durchbruch" und "qualitativen Sprung im Forschungsfeld" bezeichnen.

Unter Spannung

Sie bestehen aus elastischen Kunststoffen, die nach dem Verformen wieder ihre ursprüngliche Gestalt annehmen (Elastomere), oder dünnen, sehr flexiblen Polymer-Plastik-Folien. Diese sind mit elektrisch nicht-leitenden (isolierenden) Flüssigkeiten gefüllt. "Wir verwenden auf Pflanzenöl basierte Flüssigkeiten - reines Rapsöl funktioniert zum Beispiel sehr gut dafür", so Keplinger. Dadurch entsteht ein hydraulisches Element, das mit einem in Salzwasser gequollenen Gel beschichtet wird, welches sehr dehnbar ist und elektrische Ladungen leitet.

"Setzt man das Ganze unter Spannung, baut sich ein elektrisches Feld auf, das die verschiedenen Schichten durchdringt und eine elektrostatische Kraft auf die Flüssigkeit ausübt", erklärte er. Die weiche Hülle wird dadurch verformt, und es ergeben sich Bewegungen, die stark jenen von Muskeln ähneln. "Auch die erreichbaren Dehnungen, Kräfte, die Energieeffizienz und Kontraktionsgeschwindigkeit gleichen oder übertreffen biologische Muskeln", sagte der Physiker.

Stark und sanft zugleich

Die HASEL-Muskeln sind stark und sanft zugleich. Sie können etwa fragile und weiche Dinge wie ein rohes Ei oder eine Himbeere vorsichtig aufnehmen, ohne diese zu zerquetschen, aber auch mehrere Kilogramm stemmen. Auch schnelle Bewegungen sind damit möglich, wie die Forscher in veröffentlichten Film-Clips zeigen.

Je nach der Größe der Gel-Elektroden-Fläche kann man die elektrostatischen Kräfte unterschiedlich stark hydraulisch verstärken, erklärte Keplinger: "Verwendet man eine größere Elektrodenfläche, wird mehr Öl verdrängt, und man erhält mehr Deformation, als bei einer kleineren Elektrodenfläche, wo weniger Verformung auftritt, die Kräfte aber umso stärker sind".

Im Gegensatz zu den bisher getesteten elektrostatischen "Aktuatoren" ohne Ölfüllung ist ein elektrischer Durchschlag für die "HASEL"-Elemente nicht fatal, so der Forscher. Bei reinen Elastomer-Elementen brennt er permanent ein Loch hindurch, was sie als elektrische Isolatoren unbrauchbar macht. Die flüssigen Isolatoren etwa aus Pflanzenöl verteilen sich aber anschließend neu und heilen somit quasi selbst und ohne Hilfe von außen. "Außerdem arbeiten wir daran, dass die Außenfolien nach Schnitten oder Kratzern mechanisch ebenfalls selber heilen", erklärte er: "Damit kommen wir dem Vorbild in der Natur immer näher."

Auch der Preis dieser künstlichen Muskeln kann sich sehen lassen. Da keine exotischen Materialien oder Herstellungsverfahren notwendig sind, kostet die Erzeugung der einfachsten Elemente - sie bestehen aus einer Folie, die der Verpackung von Kartoffelchips gleicht - derzeit bloß zehn Cent.

Service: "Science"-Arbeit: https://doi.org/10.1126/science.aao6139; "Science Robotics"-Arbeit: https://doi.org/10.1126/scirobotics.aar3276; Videos der Forschergruppe: https://youtu.be/YGMyW6AESsQ; https://youtu.be/M4qcvTeN8k0; https://youtu.be/-TKjJBZEZe4

(APA/red, Foto: APA/Keplinger Research Group/Science//AAAS)

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