Studie: Komplexe Gesellschaften entwickeln sich nach ähnlichem Schema

18. Dezember 2017 - 21:10

Trotz aller Unterschiede zwischen den verschiedenen Regionen der Welt und über den Lauf der Jahrtausende hinweg, entwickelten sich komplexe gesellschaftliche Strukturen offenbar erstaunlich ähnlich. Das ist ein Ergebnis einer im Fachblatt "Pnas" veröffentlichten Analyse eines internationalen Forschungsteams.

Viele Gesellschaften verändern sich oft lange Zeit nur wenig
Viele Gesellschaften verändern sich oft lange Zeit nur wenig

Der Frage, wie sich Gesellschaften über längere Zeiträume organisieren und sich etwa von kleinen, bäuerlich geprägten Gruppen, wo quasi jeder jeden kennt, bis hin zu zahlenmäßig großen Gruppen, mit komplexen wirtschaftlichen, politischen und technologischen Verflechtungen entwickeln, gehen Wissenschafter schon seit geraumer Zeit mit unterschiedlichen Ansätzen nach. Auf der Suche nach den Triebfedern hinter der Entwicklung der "gesellschaftlichen Komplexität" bauten Wissenschafter um den russisch-amerikanischen Komplexitätsforscher Peter Turchin, der neben der University of Connecticut (USA) auch am Wiener Complexity Science Hub (CSH) tätig ist, in den vergangenen Jahren die "Seshat: Global History Databank" auf.

Historische Daten aus 30 Regionen zusammengetragen

Hier trugen sie historische, archäologische und anthropologische Daten aus über 30 verschiedenen Regionen weltweit zusammen, beginnend von jeweils ungefähr dem Zeitpunkt als sich dort die bäuerliche Lebensweise durchsetzte, was teilweise bis zu 10.000 Jahre zurückliegt. Insgesamt verglichen die Wissenschafter auf Basis dessen die Entwicklung von 414 abgrenzbaren gesellschaftlichen Einheiten - von kleinen unabhängigen Stadtstaaten bis zu großen Imperien - über die Zeit hinweg.

Analysiert wurden Merkmale, die mit der Größe der Bevölkerung oder des Territoriums zu tun haben. Als weitere Faktoren wurden die Vielschichtigkeit des Aufbaus der Gesellschaft, also etwa der Hierarchieebenen in Administration, Militär oder im Klerus, die professionelle Ausgestaltung des politischen Systems oder des Rechtssystems, die Infrastruktur, die Entwicklung eines tragfähigen Informationssystems - also etwa dem Vorhandensein schriftlicher Aufzeichnungen - und schlussendlich die Entwicklung des Geldsystems als Hinweis auf die wirtschaftliche Entwicklung berücksichtigt.

In den Analysen zeigte sich etwa, dass die Gesellschaften in Nord- und Südamerika zum Zeitpunkt des Kontakts mit europäischen Kulturen ab dem Ende des 15. Jahrhunderts weniger komplex organisiert waren. Das mag dazu beigetragen haben, dass es den Europäern möglich war, diese zu kolonialisieren, schreiben die Forscher in der Arbeit. Sie weisen aber gleichzeitig darauf hin, dass ein Maß für die Komplexität einer Gesellschaft nicht dafür herangezogen werden dürfe, eine Kultur quasi über eine andere zu stellen.

Parallelen in der Entwicklung

Obgleich die verschiedenen Gesellschaften in verschiedensten Regionen und Epochen sehr unterschiedliche Voraussetzungen hatten, zeigten sich einige Parallelen in deren Entwicklung: Als insgesamt wichtigsten gemeinsamen Faktor für Komplexität interpretieren die Wissenschafter die Entwicklung von Funktionen, Institutionen und Technologien, die es erlauben, viele Menschen dazu zu bringen, politisch geeint zu agieren.

In der Analyse zeigte sich auch, dass sich viele Gesellschaften oft lange Zeit hinweg wenig verändern und die Zunahme von gesellschaftlicher Komplexität dann sprunghaft von Statten geht. Das scheint vor allem für Staaten zu gelten, deren Gebiet sich erweitert. Trotz vieler gegenläufiger Entwicklungen zeige sich ein übergeordneter Trend in Richtung Zunahme der Komplexität. Auch Hinweise auf die gewissermaßen altbekannte These "Der Krieg ist der Vater aller Dinge" findet sich in abgewandelter Form in den Daten. Denn die Komplexität erhöhe sich in jenen Gesellschaften tendenziell, die auch kriegerisch mit anderen konkurrieren.

Für die Wissenschafter ist ihre Analyse ein Beispiel dafür, wie sozial- und geisteswissenschaftliche Forschung durch die Kombination mit naturwissenschaftlichen Methoden aufgewertet werden kann. Der Ansatz sei auch vielversprechend, wenn es etwa darum geht, mehr darüber herauszufinden, unter welchen Umständen sich beispielsweise Diktaturen besonders häufig entwickeln und was diese aufrechterhält.

Service: Die Publikation online: http://dx.doi.org/10.1073/pnas.1708800115; Website der "Seshat: Global History Databank": http://seshatdatabank.info

(APA/red, Foto: APA/APA (dpa))

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