Von der "Oktoberrevolution" zur "Großen Russländischen Revolution"

31. Oktober 2017 - 13:10

Feiern an den Jahrestagen der "Großen Sozialistischen Oktoberrevolution" spielten in der Sowjetunion eine zentrale Rolle. Doch das war einmal: Nachdem der 7. November in Russland 2005 als staatlicher Feiertag abgeschafft wurde, ignoriert der Kreml 2017 den 100. Jahrestag der Oktoberrevolution nahezu völlig. "Weshalb sollte man das feiern?", erklärte vergangene Woche ein Sprecher Wladimir Putins.

ARCHIVBILD: Wissenschafter sollen die Möglichkeit haben, 1917 zu diskutieren
ARCHIVBILD: Wissenschafter sollen die Möglichkeit haben, 1917 zu diskutieren

Die Zurückhaltung des Kreml hatte sich bereits Ende des vergangenen Jahres mit einem Erlass von Präsident Putin angekündigt, in dem die Verantwortung für Veranstaltungen zur "Revolution des Jahres 1917" an die "Russische historische Gesellschaft" (RIS) ausgelagert wurde.

Dieser staatsnahe Verein, der vom Direktor des russischen Auslandsgeheimdiensts SWR, Sergej Naryschkin, geleitet wird, stellte ein Programm mit zahlreichen Ausstellungen, wissenschaftlichen Konferenzen, jedoch ohne politische Events zusammen.

"Abgeschlossene Episode" der Geschichte

Auffällig ist, dass in diesen offiziösen Veranstaltungen die Ereignisse von 1917 vor allem als eine äußert wichtige, jedoch abgeschlossene Episode der russischen sowie internationalen Zeitgeschichte dargestellt wurden. Womöglich am deutlichsten brachte diese Tendenz der Direktor der Petersburger Eremitage, Michail Piotrowski, zum Ausdruck: Im sogenannten "Kleinen Speisezimmer" des Winterpalasts ließ er jene historische Uhr, die während der Verhaftung von Mitgliedern der Übergangsregierung in der frühen Morgenstunden des 26. Oktober 1917 (Nach dem gregorianischen Kalender am 8. November, Anm.) um 2 Uhr 10 gestoppt wurde, vergangene Woche wieder aufziehen und weiterlaufen. "Das Ereignis der Revolution ist zu Ende. Und es nicht nötig, sich erneut sich eine revolutionäre Bahn zu begeben, denn die Geschichte würde sich spiralartig zwangsläufig wie eine Farce wiederholen", begründete Piotrowski.

Mit dem "Downgrading" des runden Jubiläums war der Kreml insbesondere auch Anregungen aus der historischen Community gefolgt. "Bei allen Kontakten mit offiziellen Vertretern des Staates empfahl ich, dass die Regierenden keine Position in dieser Frage einnehmen sollen, Wissenschafter aber gleichzeitig die Möglichkeit haben sollen, 1917 zu diskutieren", erzählte der APA vergangene Woche der linke Moskauer Historiker Aleksandr Schubin, der 2014 eine Standardwerk zu 1917 veröffentlicht hatte.

Schubin, der am Institut für allgemeine Geschichte der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau forscht, sieht sich selbst als Hauptlobbyist des Begriffs einer "Großen Russländischen Revolution" (russisch "Welikaja Rossijskaja Rewoljuzija"). Diese umfasst sowohl die Februar- und Oktoberrevolution von 1917, die Absetzung von Zar Nikolaus II., die Machtübernahme durch eine Übergangsregierung und ihre Entmachtung durch die Bolschewiken einige Monate später, als auch den Bürgerkrieg bis Anfang der 1920er Jahre. Seit 2014 findet sich dieses Wording auch zunehmend in offiziellen Kontexten - auch im erwähnten Putin-Erlass zum Jubiläum ist von "Revolution" im Singular die Rede.

Freilich steht die zurückhaltende Positionierung des Kreml aber auch in aktuellen ideologischen Kontexten: Einerseits - so verdeutlicht etwa ein programmatischer Auftritt des russischen Kulturministers Wladimir Medinski 2015 - gilt es, eine Versöhnung zwischen "Weißen" (Gegner der Bolschewiken, von Anhängern des Zaren bis zu Anarchisten, Anm.) und den bolschewistischen "Roten" nicht durch eine zu scharfe geschichtspolitische Positionierung zu gefährden. Denn trotz jahrzehntelanger Bemühungen, die sich etwa in vom KGB lancierten Kinofilmen seit Mitte der 1960er Jahre beobachten lassen, ist die russische Bevölkerung in Bezug auf 1917 weiterhin gespalten: Laut einer Anfang Oktober 2017 veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts WZIOM erachten 46 Prozent der Russen, dass die Oktoberrevolution im Interesse der Bevölkerungsmehrheit erfolgt sei - gleichzeitig denken 46 Prozent, dass dies nicht der Fall gewesen sei.

Andererseits lehnt der Kreml spätestens seit der "Orangen Revolution" in der Ukraine 2004/2005 Revolutionen kategorisch ab. Nach dem "Arabischen Frühling" von 2010/2011 und dem zweiten Kiewer Maidan 2013/2014 avancierte die Ablehnung revolutionärer Machtwechsel gar zu einem zentralen Merkmal der russischen Außenpolitik. Obwohl die Errungenschaften der Sowjetunion tendenziell eher positiv dargestellt werden und Präsident Putin ihren Zerfall als "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts" bezeichnet hat, steht daher eine positive Darstellung von Revolutionen aus Kreml-Sicht nicht zur Diskussion.

Noch schwerer als der Umgang mit dem Oktober 1917 fällt jedoch jener mit der Februarrevolution aus, deren zentrale Aspekte wie Abschaffung der Zensur und Abrechnung mit dem zaristischen Polizeistaat in offiziösen musealen Darstellungen zuletzt in den Hintergrund gerückt wurden. Vergleiche zwischen Zarismus und einem zunehmend autoritären russischen Staat, die Ende Februar 2017 etwa von Petersburger Oppositionellen mit "Nieder mit dem Zaren!"-Rufen bemüht worden waren, sollen dabei sichtlich vermieden werden.

Parallel zum Programm der "Russischen historischen Gesellschaft" beschäftigten sich zur Zeit aber auch zahllose nichtstaatliche Akteure mit dem 100-jährigen Jubiläum. Insbesondere das Programm der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) beeindruckt durch seinen Umfang: Die Partei, die das Konzept einer "Großen Russländischen Revolution" ablehnt und auf einer sowjetischen Sichtweise der "Großen Sozialistischen Oktoberrevolution" beharrt, wird mit internationalen Partnern zwischen 1. und 8. November an historischen Schauplätzen in St. Petersburg und Moskau groß feiern. Eine Revolution nach dem Vorbild Wladimir Iljitsch Lenins selbst dürfte dabei nicht geplant sein: Der seit 1993 amtierende Parteichef Gennadi Sjuganow ließ vergangene Woche bei einer Pressekonferenz in Moskau keinen Zweifel an seiner Loyalität zu Präsident Putin.

(Von Herwig Höller/APA)

(APA/red, Foto: APA/APA (AFP/TASS))

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